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Zwischen Mut und Unbekümmertheit

Ivo van Hove verbannt in seiner Inszenierung am Schauspielhaus das Archaische aus Euripides  ■ Bakchen

Mit zweitägiger Verspätung konnte die Premiere von Euripides Bakchen im Schauspielhaus nun doch noch stattfinden. Grund der Verzögerung: das imponierende Holzkasten-Bühnenbild von Jan Versweyveld hatte nicht wie geplant kunstgerecht zusammenfallen wollen und mußte neu motiviert werden. Das Zusammenklappen des herrschaftlichen thebanischen Hauses zu bedrohlichen Sirenenklängen gehörte dann auch zu einem der vielen überzeugenden Einfälle des Duos Ivo van Hove (Regie) und Jan Versweyveld, mit dem sie die etwas lang und zäh geratene Inszenierung auflockerten.

Der Vetternkrieg zwischen dem Gott (Dionysos) und dem König (Pentheus), der mit dem Untergang des thebanischen Königshauses endet, wird von van Hove überwiegend ironisch und unpathetisch in Szene gesetzt. Allerdings wird Schwere und ergreifende Verzweiflung so lange verbannt oder kunstvoll gebrochen, bis am Ende die leidenschaftlichen Ausbrüche von Barbara Nüsse (als Agaue erkennt, daß sie im mänadischen Rausch ihren eigenen Sohn zerrissen hat) und das grausame Gericht des für diesen Vorgang zu lieben Fritz Lichtenhahn (Kadmos) nicht mehr so recht zünden wollen.

Vornehmlich in der Führung des Chores zelebriert van Hove die Zertrümmerung der Dramatik. Marion Breckwoldt als Unterregisseurin der sieben vom Kult berauschten Thebanerinnen dirigiert ihr Ensemble mit zackigen „OK!“-Rufen aus jeder beginnenden Versenkung in die nächste Mini-Szene. Da wird kurzentschlossen kollektiv uriniert, geschrien oder gezuckt und ebenso bestimmt wieder der Schlußpunkt gesetzt. Auch der Text erfährt in der Verteilung einzelner Sätze für einzelne Bakchen eine neue Form, die jeder Eindringlichkeit entgegenarbeitet.

Diese ungewaltige Art der Darstellung als Regie-Prinzip wirkt anfänglich schlüssig und weckt Neugierde. Als Überraschungseffekt, der dieser Kunstgriff aber letztlich doch nur ist, hält er die Aufmerksamkeit über zweieinhalb Stunden nicht aufrecht. Zudem wirkt der Wahn, der „gute“ des Kultes wie der „schlechte“ des Frevels, in dieser Präsentation leicht affektiert und hölzern. Die Verbannung des Archaischen bewirkt erst den Einzug von Neugier, dann den Auszug von Spannung.

Wirklich problematisch aber ist die Besetzung des Dionysos mit Ben Becker. In einer Manier, die oft an seinen tennisspielenden Namensvetter erinnert, sagt er den Text daher, als übe er noch, und auch sein Zorn ist eher sportlicher Natur. Unklar bis zuletzt bleibt, ob

1Becker jetzt die beleidigte Gottheit spielen soll, die nach Anerkennung sucht und enttäuscht schließlich grausam Rache nimmt, oder ob es seine Aufgabe war, ein leidenschaftsloses Ordnungsprinzip darzustellen.

Ingo Hülsmann dagegen, als sein

1sich selbst überschätzender Widerpart Pentheus, ringt dem Spannungsverhältnis aufklärerischer Rationalismus/verdrängte Begierden seiner Königsfigur eine wirkliche Persönlichkeit ab. Auch andere Höhepunkte, wie der Auftritt des Rinderhirten von Wolfgang Krass-

1nitzer, bringen das Stück immer wieder in Fahrt. So sammeln sich viele gute Momente wie Inseln in einem trägen Fluß, dessen interpretatorische Richtung im Zwiespalt zwischen Mut und Unbekümmertheit nie ganz offensichtlich werden will. Till Briegleb

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