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Ein Richard Wagner der Baukunst

■ Fritz Höger, der Architekt des Chilehauses, verstand seine Architektur als Ausdruck überlegenen Deutschtums und steingewordenes Erziehungswerk. Eine jetzt erschienene Monografie beleuchtet das...

, der Architekt des Chilehauses, verstand seine

Architektur als Ausdruck überlegenen Deutschtums und steingewordenes

Erziehungswerk. Eine jetzt erschienene Monografie beleuchtet das

widersprüchliche Wesen des berühmten Hamburger Baumeisters.

Hamburg erlebt in diesen Jahren eine unvergleichliche Renaissance des roten Ziegels. Kaum ein Bürohaus in der Innenstadt, das sich dem mächtigen Trend versagt und das nach dem Krieg nur noch marginal bedeutungsvolle Baumaterial verschmähen würde. Einem Geschmacksdiktat vergleichbar, das maßgeblich von behördlicher Seite forciert wird, wird in Anrufung der beiden großen Hamburger Fritzen (Schumacher und Höger) dem roten Stein eine seligmachende hanseatische Heimatlichkeit zugesagt, auf die ein homogenes Stadtbild angeblich nicht verzichten kann. Daß die Vereidigung der Hamburger Architekten auf den roten Ziegel eine ideologietriefende Vorgeschichte hat, wissen die wenigsten der Einwohner und Gäste der Hansestadt, welche die dumpfe Behaglichkeit, die das Material verströmt, als ein Stück Lebensqualität empfinden.

Tatsächlich handelt es sich bei der jetzigen Artikulation in Ochsenblut nämlich um eine Re-Renaissance. Und die erste Wiederkehr, die bis zum Machtantritt der Nationalsozialisten dauerte, war begleitet von einem ideologischen Grundsatzgefecht zwischen Heimatschutz und Moderne, bei dem Fritz Höger, der Architekt des Chilehauses, zur Avantgarde der Reaktion gehörte. Mit dem Rückgriff auf Material und Motive der norddeutschen Backsteingotik, insbesondere inspiriert von den Domen der Hanse in Wismar, Rostock, Lübeck und Lüneburg, verband Höger, wie Piergiacomo Bucciarelli in seiner jetzt erschienenen Monografie darlegt, die Vorstellung einer „kerndeutschen“ Architektur, die dem Volk die germanische Kultur „wesensverinnerlichen“ könne. Sein ausgeprägter Furor teutonicus trachtete danach, die Überlegenheit des Deutschtums mit den Mitteln der „Baukultur“ zu beweisen. Daß der Sohn eines Zimmermanns mit holländischen Ahnen endlich auch proklamierte, man müsse „alles Fremde und Nicht-Deutschblütige“ aus dem Lande jagen, überrascht da nicht.

Absurderweise bereiteten ausgerechnet die Nazis dann seinem völ-

1kischen Bauen ein Ende. Hitler, der abgebrochene Künstler, der in seiner Münchner Zeit fest davon überzeugt war, sich „dereinst als Baumeister einen Namen zu machen“, visionierte bekanntlich, geprägt von Wiener und Münchner Prachtarchitektur, von einem monumentalen Neo-Klassizismus, Schinkel zum Quadrat sozusagen, und konnte sich nie für den nordischen Expressionismus erwärmen. Höger, der nach der Machtergreifung Hitlers große Hoffnung gehegt hatte, zum Baumeister des Dritten Reichs befördert zu werden, erhielt, trotz Mitgliedschaft in der NSDAP und im Kampfbund Deutscher Architekten und Ingenieure, kaum noch Aufträge und verschwand in der Bedeutungslosigkeit. In dem ideologischen Schwergewichtskampf zwischen dem Neuen Bauen und Högers „kerndeutschem“ Expressionismus gab es mit dem Eintritt der Nazis also nur noch Verlierer.

Doch in den dreißig Jahren seines vorherigen Schaffens, und das steht trotz des eben Gesagten nicht zur Disposition, hat Höger mit genialen Werken die Qualität des Hamburger Stadtbildes entscheidend beeinflußt. Dabei blieb er von seinen ersten viel beachteten Geschäftshäusern an der Mönckebergstraße, dem Rappolthaus am Barkhof 1912 (in stark verändertem Zustand erhalten) und dem Klöpperhaus 1913 (leicht verändert, heute Kaufhof), bis zu seinem letzten nennenswerten Auftrag (Siedlung Siebethsburg in Wilhelmshaven, 1935-41) dem Klinker mit wenigen Ausnahmen treu. Der rote Stein, dessen Verwendung er virtuos beherrschte, blieb für ihn Zeit seines Lebens der Inbegriff des Nordischen, des Rein-Erhabenen, des anständig und wohl gesitteten Deutschtums, wie er es in den Formen der Gotik exemplarisch verwirklicht sah. Abweichungen, wie beim Umbau von Hapag-Lloyd am Ballindamm, sind eigentlich stets auf einen besonders eigensinnigen Bauherren (hier: Albert Ballin) zurückzuführen. Höger, der ausgesprochen stolz darauf war, aus einer bäuerlich geprägten Familie zu stammen, definierte seine Arbeit mit dem Klinker als die Möglichkeit, „das deutsche Wesen mit seiner Bodenständigkeit am feinsten auszudrücken“. Für ihn war der

1Klinker der „Bauedelstein“.

Vielleicht sind es die vielen Widersprüchlichkeiten in Högers Leben, mal anekdotischer, mal prinzipieller Natur, die seine Bauten dennoch nicht wie steingewordene Blut-und-Boden-Phantasien erscheinen lassen. So war es ausgerechnet er, der massige Eiferer wider die Neue Sachlichkeit, der Hamburgs einzigen „modernen“ Architekten von Rang, Karl Schneider, aus Berlin, wo dieser bei Peter Behrens und Walter Gropius das Vokabular der Avantgarde gelernt hatte, nach Hamburg in sein Büro holte. Schneider, der später den einzigen lokalen Gegenpol zur Hamburger Schule darstellte, wohnte anfänglich sogar bei Högers.

Überhaupt ist vielleicht der Widerspruch zwischen Högers tiefverwurzeltem anti-städtischen Bewußtsein und seinem kathedralen, oft innovativen Gestaltungswillen der für seine Architektur fruchtbarste Gegensatz. So finden Prinzipien seiner Gegner immer wieder Eingang in Högers Entwürfe, auch wenn sie dort sofort dem handwerklichen Ethos angepaßt werden. Die Gebrochenheit seiner nationalistischen Architektur-Pädagogik zeigt sich auch darin, daß er, abgesehen von seiner ersten Phase und einigen privaten Auftragsarbeiten, Volkstümelei und biedere Folklore immer vermied. Seine Liebe zum Handwerk und sein Willen zur Kunst vereinten sich bei seinen stilistisch sichersten Entwürfen immer zu einem persönlichen schöpferischen Ausdruck. Spricht die Raffinesse beim Entwickeln von Dekor und Details (etwa seine arabisch inspirierten Fassaden-Verkleidungen) mehr die Sprache des gelernten Maurers, so sind die groben Entwürfe der Gebäudekörper Zeugen eines emphatischen plastischen Empfindens, dem das Innen der Gebäude weit weniger wichtig war als die geschaffene Ikone.

Fast wie ein Wunder wirkt es, daß von Högers Gebäuden viele

1und vor allem die bedeutendsten die Hamburger Bombennächte überdauern konnten. Chilehaus, Sprinkenhof, die Leder-Schüler- Fabrik am Heidkampsweg (wo ansonsten kein Stein auf dem anderen blieb), Reemtsma in Wandsbek, der Sitz des „Hamburger Fremdenblattes“ (heute Hotel Ramada, Große Bleichen) oder das Gymnasium Curschmannstraße wurden überhaupt nicht oder nur leicht lädiert. Wohnbauten nach seinem Geist stehen am Winterhuder Marktplatz, an der Bebelallee oder der Barmbeker Straße in Winterhude ebenso wie am Flughafen, in Groß Flottbek, Sasel, Volksdorf oder St. Georg. Außerhalb Hamburgs blieb Höger stets minder bedeutend, obwohl er in Hannover, Berlin, Leipzig und Wilhelmshaven einige seiner schönsten Entwürfe verwirklichen konnte.

1Wenn man sich heute Fritz Högers schroffe, verschlossene und humorlose Monumente betrachtet, so wird man sie wenig einladend finden (auch wenn ein Spaziergang durch die frisch restaurierte Innenwelt des Chilehauses durchaus lohnend ist). Die Magie aber, die sie ausströmen, läßt unweigerlich die Assoziation an einen anderen besessenen Deutschen aufkommen, dessen bewußt ideologisches Werk nicht minder widerspruchsvoll erscheint. Ja vielleicht hat Höger, der Träumer von einer nordischen Neo-Gotik, sich den Titel wirklich verdient, ein Richard Wagner der Baukunst genannt zu werden. Till Briegleb

Piergiacomo Bucciarelli, Fritz Höger, Vice Versa Verlag, 200 Seiten, circa 300, teils farbige Abbildungen, Subskriptionspreis bis 31.12.92, 98 DM, danach 120 DM

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