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Etwas von hohler Lüsternheit

Anläßlich der Ausstellung „Getting to kNOw you“ in Berlin: „Sexueller Aufruhr und Widerstand“ als US-Import. Was bringen die Gender-Fragen für die Kunst?  ■ Von Ulf Erdmann Ziegler

Nett, Sie kennenzulernen. Sie sind also Hester Reeve, eine Jesustype mit Bart und langen, fettigen Haaren. Sie haben so ein kalkiges Gesicht. Und Ihren Oberkörper, der nicht bekleidet ist, würde ich nicht gerade klassisch nennen. Die vollen Kunstbrüste, die Sie tragen, zieren weibliche Putten, deren offene Münder die Brustwarzen bilden, die nicht die Ihren sind.

Sie machen sich gut, so als Performer-Ikone im Videoambiente, wie sich hinter Ihnen die Abstrusitäten der Sechziger abspielen: wo mit entblößten Brüsten tanzende Frauen in Miniröcken das Fanal einer kommenden Zeit waren; und diese Hollywoodritter, herrlich unbeholfen; geisternde Augen als Symbole des Begehrenden, das Insekt als Ekelingredienz: zu all dem der Doors-Song, den Sie faken, dessen Refrain endet: „... I know your secret fears“. Und dann, vor dem Ambiente des Fernsehstudios, die gestreckten Zeigefinger, die sich treffen, und mit dem werbemäßig ironisierenden Michelangelo-Zitat wären wir in der Jetzt- Zeit. „Getting to kNOw you“ im Künstlerhaus Bethanien, das Produkt eines Künstler(innen)-Imports: zwölf Amerikaner(innen) haben ihre Arbeiten im früheren Krankenhaus Bethanien installiert. Das postmoderne Doors-Video von Suzie Silver als Extra. Die Ausstellung ist „ein Versuch“, teilt das Künstlerhaus Bethanien mit, „eine in den USA längst angelaufene Diskussion zu internationalisieren“. Nett, Sie kennenzulernen.

Allerdings sterben die Diskutanten. Im Sommer dieses Jahres starb David Wojnarowicz, ein Maler, der nicht durch seine Bilder, sondern durch seine Attacken auf Apparatschiks der Kunst, der Politik und des Klerus bekannt geworden war. „Sex in Amerika“, schrieb er vor drei Jahren in einem Katalog, „ist schon vor langer Zeit auf ein paar Geschlechtssymbole geschrumpft; man erwähne das Wort Sex, und die allgemeine Öffentlichkeit scheint sich ein paar heterosexuelle Positionen auf einem Bett vorzustellen.“ Wojnarowicz sah sich chancenlos gegenüber einer Gesellschaft, deren Konsens seiner Meinung nach im Tabu lag und die gesteuert wurde von Personen, die ihm sein Leben genauso nehmen wollten wie sein Werk, und selbst die Vorstellung meinte er als „nicht regiert“ verteidigen zu müssen; und illustrierte den Gedankengang so: „Ich kann jemanden ohne Gummi ficken, oder ich kann – in der Privatsphäre meines Schädels – [den reaktionären US-Senator Jesse] Helms mit einem Eimer Benzin duschen und unter seinem vermoderten Arsch Feuer legen...“ Wojnarowicz bekannte sich „zur Todesstrafe für Leute in Machtpositionen, die Verbrechen gegen die Menschheit begehen, also Faschismus“.

Wojnarowicz, dem in den Berliner Kunst-Werken ein Gedenkraum eingerichtet worden ist (siehe Interview mit Frank Wagner), war Extremist einer Szene, die sich im Krieg mit der (US-)Regierung verstand und versteht; und wie jeder Krieg, ist auch dieser ein Stellvertreterkrieg, die Fortsetzung einer Metapher mit anderen Mitteln. Im Gegensatz zum Krebs, der als eine Art technische Bedrohung des Lebens gesehen wird und die Betroffenen ihr Schicksal nie hat als kollektiv erleben lassen, ist Aids in Amerika als soziale Bedrohung, als Bedrohung des Sozialen gesehen worden; als biotechnisch kodierter Raubbau an eben den individuellen Freiräumen, die die einzelnen nach 1967 ihre Existenz als neu fundiert, als Teil einer geschichtlichen Erfüllung hat begreifen lassen. Die Popkultur, das Theater und die bildende Kunst haben sich als Orte erwiesen, in denen das Schicksal als kollektiv begriffen oder beschrieben werden konnte: „Sexualität, über Bilder definiert, gibt mir Trost in einer feindseligen Welt“, schrieb Wojnarowicz.

Die integrative Funktion einer expliziter werdenden Bilderkultur ist deutlich zu erkennen, vorausgesetzt, daß man hinsieht; die desintegrative war viel lauter und deutlicher, und die Vertreter des Volkszorns haben in der Novemberwahl erfahren müssen, daß ihre Sorge um die Weichteile der familialen Seele den Kern der Sorgen ihrer Nation nicht traf. In jeder amerikanischen Großstadt kann man auf der Straße die Verlorenen sehen. Und man mußte nicht Aids haben oder erwarten zu bekommen, um Angst zu haben, bald dazuzugehören. Vor der Wahl machte (per Fotokopie, per Fax) ein einfaches und „eigentlich“ harmloses Motiv die Runde, das in einer Skizze den Unterkörper einer Frau zeigt. Der Text: „Bush – read my lips“. Das Blatt bezog sich auf das Steuerversprechen, daß Bush mit dem Zusatz „read my lips“ (Sie können es mir von den Lippen ablesen) unumstößlich gegeben und genauso unumstößlich gebrochen hatte. Daß sein Sprachgebrauch, also das Tor zu Wahrheit und Lüge, durch eine solch einfache Karikatur sexuell „zu entstellen“ war, machte die Schwäche der Tabu- und „Familien“-Fraktion überraschend deutlich. Andererseits setzte die Zeichnung (die ich in einem Universitätsbüro aufgehängt sah) einige Übung voraus, eine Obszönität als solche zu erfassen und zugleich als politisch „anwendbar“ zu erkennen.

Es ist eben nicht die integrierende, sondern die desintegrierende Funktion sexueller Motive, die etliche der in Berlin gezeigten Arbeiten so befremdlich macht. So findet man eine Wand mit schauerlich unauffälligen Blumenmotiven tapeziert, auf die in Weiß und Schwarz Cartoons gemalt sind. Da sitzt ein jämmerliches Frauchen und überlegt sich: „Ist er's? Hmmmm... Er hat mich blasen lassen. Das heißt ja wohl...“ (Ende der Sprechblase), während er, behaarter muskulöser Mann, sich folgende Gedanken ablesen läßt: „Könnt' wetten, ich weiß, was du denkst. Hm... mieser als 'ne Hure.“ In einer anderen Arbeit, die wahrscheinlich als dokumentarisch gelten soll, wird konstatiert, der Abstand zwischen Männern und Frauen sei nicht so groß wie angenommen, sondern nur „15 Zentimeter“: die meisten Männer glaubten, eine durchschnittliche Erektion messe 25, die meisten Frauen glaubten, sie messe 10 Zentimeter. Nicht nur, daß das Witzchen über männliche Phantasie zur „Installation“ aufgeblasen wird; es gibt auch seine Quelle nicht preis. In einer anderen Arbeit heißt es, in Rot auf einen Dollarschein geschrieben: „Es kostet mehr, sich von einem Bullen besamen zu lassen, als von einem männlichen Menschen.“ Eine Bodeninstallation zeigt auf vier Flächen, die im Hakenkreuz arrangiert sind, Armeen einfarbiger Plastikbabies, den rechten Arm zum Hitlergruß erhoben. Nett, Sie kennenzulernen.

„Sexueller Aufruhr und Widerstand“ (sexual insurrection and resistance) ist das Thema der Ausstellung, und es ist deutlich zu spüren, daß es zu eng ist. Zur Lust gehört das Objekt, zur Enttäuschung die Hoffnung, zur Initiation die Erwartung, zur Erfüllung die Risiken der Wiederholung: Sexualität, auf die zu ächtende Norm reduziert, zum stupide Käuflichen zusammengestrichen, bekommt dann auch im vermeintlich „Widerständigen“ etwas von hohler Lüsternheit. Die Überschreitung als Überschreitung ist wie gespieltes Theater (nicht umsonst endet bei Bataille die Schändung der Sakristei im Mord am Priester; die Übeltäter, die sich in der Überschreitung der Grenze rauschhaft erfahren

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