„Denken Sie nicht schlecht von mir“

Ein Überfall bewaffneter Banditen in Somalias Hauptstadt: Clan-Älteste verhandeln über die Rückgabe der Beute — ohne Erfolg/ Zwischenhändler haben sich auf den Rückverkauf spezialisiert  ■ Aus Mogadischu Bettina Gaus

„Wir sind bestürzt über das, was euch passiert ist. Als ich die Nachricht gestern hörte, konnte ich nicht mehr schlafen, weil eine so böse und unmenschliche Tat geschehen ist.“ Sheik Hassan Abdi Muhammed, ein alter Mann mit zerfurchtem Gesicht und warmen gütigen Augen, ist in unsere Unterkunft gekommen, um seine Hilfe anzubieten: „Wir haben die Ältesten der Umgebung zusammengerufen, um der Sache auf den Grund zu gehen.“

Die Sache: ein bewaffneter Raubüberfall, dessen Opfer wir am Vortag in der alten Innenstadt Mogadischus geworden sind. Hier, in der Umgebung der ausgebrannten, verwüsteten Kathedrale, des geplünderten Nationalmuseums und der Zentralbank, in deren weiße Grundmauern Artillerie ein bizarres Lochmuster geschossen hat, haben die Kämpfe des Bürgerkrieges besonders heftig getobt. Ganze Straßenzüge bestehen nur noch aus Ruinen.

Mitten durch das ehemalige Zentrum der somalischen Hauptstadt verläuft die Demarkationslinie zwischen den Territorien von Interimspräsident Ali Mahdi und General Farrah Aideed, deren mit schweren Waffen ausgetragener Machtkampf bis zum Waffenstillstand im März dieses Jahres Zehntausende von Todesopfern gefordert hat.

Vor knapp zwei Wochen, nur zwei Tage nach Ankunft der ersten US-Truppen in Somalia, hatten die beiden Kriegsfürsten sich demonstrativ versöhnt – die Wiedervereinigung ihrer gespaltenen Organisation USC und die Wiedervereinigung der geteilten Stadt sind Teil der Übereinkunft. Die drei scharf bewachten Übergänge in der Stadt sollten aufgelöst werden.

Wann? „Heute nachmittag“, hatte uns Osman Atto, General Aideeds engster Berater, gesagt. Am Übergang in der alten Innenstadt aber war von friedlichem Wandel nichts zu spüren. Etwa 30 Männer mit Gewehren und Pistolen umringten uns, zwei Journalistinnen und einen Fotografen mit unseren somalischen Begleitern, zu denen auch der USC-Mitarbeiter Dahir Salaad Hassan gehörte. Er erklärte den Posten unser Anliegen. Dann nickte er uns zu: „Alles in Ordnung. Ihr könnt hier die Fotos machen und Fragen stellen.“

Die Atmosphäre schien entgegenkommend zu sein. Ich fragte nach den Banditen, die seit Monaten die Stadt unsicher machen und offenbar von keiner politischen Gruppierung mehr kontrolliert werden können. Nein, vor denen hätten sie keine Angst. „Wir sind doch selber welche“, warf ein junger Mann ein, und wir alle lachten. Sekunden später waren Pistolen auf uns gerichtet, fielen Schüsse. Taschen und Kameras wurden uns entrissen, wir selbst hastig und brutal auf Wertgegenstände untersucht. Es ging um Beute, nicht um unser Leben: Unverletzt erreichten wir unser Auto.

Ein älterer Mann zog Dahir beiseite, sprach auf ihn ein. „Ich soll nachher zurückkommen und verhandeln“, erklärte der uns später. Gängige Praxis dieser Tage in Mogadischu: innerhalb von nur einer Woche sind 30 Fernsehausrüstungen geraubt worden. Einige Kollegen haben das Diebesgut über Zwischenhändler zurückgekauft. Auch dieser Tag hatte sich für die Räuber gelohnt: allein die Kameras des Fotografen Ulutuncok sind rund 20.000 Mark wert. „Die Amerikaner haben uns die Lebensmittel zum Plündern weggenommen, jetzt müssen wir die Journalisten überfallen, hat mir einer der Banditen gesagt“, erzählte Osman, einer unserer Begleiter.

So recht überzeugend ist das nicht. Nach wie vor halten sich US- Truppen nur an wenigen strategischen Punkten der Stadt wie Hafen und Flughafen auf. Zwar begleiten schwere Militärfahrzeuge Nahrungsmittelkonvois, aber die Soldaten schauen tatenlos zu, wenn Plünderer auf die Lastwagen klettern und Säcke voller Bohnen und Reis herabwerfen. Gegenwärtig scheint es die Strategie der US- Kommandeure zu sein, Konfrontationen soweit wie möglich zu verhindern. „Wir bemühen uns, Clan- Älteste und Intellektuelle zu finden“, erklärte General Joseph Hoar auf einer Pressekonferenz. „Wir müssen zu einem wirklichen Einverständnis mit somalischen Führern kommen.“

Die Gefahr, als neokolonialistische Invasionsmacht in Somalia angesehen zu werden, wird damit für die USA geringer – aber gleichzeitig schwindet die abschreckende Wirkung der martialisch aussehenden Militärs. „Am Umfang der Plünderungen hat sich bislang kaum etwas geändert“, meint Horst Hamborg vom Internationalen Roten Kreuz.

Dahir ist entsetzt über das, was uns zugestoßen ist: „Diese Banditen haben keine Moral, keine Ethik, sie sind völlig gewissenlos.“ Was heißt hier Banditen? Immerhin standen die Bewaffneten am offiziellen Übergang auf der Seite von General Aideed. Es muß sich doch wohl um Angehörige des USC gehandelt haben. Empört weist Dahir das zurück: Es sei Krieg, niemand könne die versprengten Banden noch kontrollieren. Gerade deshalb habe der USC ja auch die Ankunft der US-Truppen begrüßt, weil die Organisation alleine die Ordnung nicht wiederherstellen könne. Aber kein Bandit sei Mitglied des USC.

Wenn das stimmt, dann beherrscht die Organisation, der es im Januar 1991 gelungen war, den Diktator Siad Barre aus Mogadischu zu vertreiben, inzwischen nicht einmal mehr die für sie bedeutendsten strategischen Punkte. Ist sie dann politisch überhaupt noch ernst zu nehmen? „Die Räuber müssen zum USC gehören“, meint Ahmed Jama Mussa, der noch unter Siad Barre Polizeichef gewesen war und diese Funktion nach dessen Sturz wiederum innegehabt hatte, bis die blutigen Machtkämpfe in Mogadischu dieses Institution gänzlich zerstörten.

Noch gibt es keine eigene Polizei, aber es gibt andere hilfreiche Kräfte. Fahrer, Übersetzer und bewaffnete Bewacher, die wir bei früheren Besuchen kennengelernt haben, kommen auf uns zu, wollen für uns verhandeln. Um uns einen Gefallen zu tun, so sagen sie. Einen Gefallen tun will uns auch jener Hehler, der Guenay aus einem weißen Fiat heranwinkt und ihm verspricht, eine Auswahl anderer Kameras zum Kauf anzubieten.

Mißtrauen und Unsicherheit werden in uns wach: stecken hier alle unter einer Decke? Ist ganz Mogadischu eine einzige Räuberhöhle? Innerhalb weniger Stunden bemächtigt sich unserer eine Stimmung, die an anderen, friedlichen Orten nur mit dem Wort „Verfolgungswahn“ zu beschreiben wäre. Wenn wir schon nach so kurzer Zeit fast jeden zu verdächtigen bereit sind – was muß der Bürgerkrieg aus all jenen somalischen Frauen und Männern gemacht haben, die seit zwei Jahren erleben, wie aus Freunden Feinde werden?

Helfen möchte uns auch ein Mitarbeiter der französischen Botschaft: „Gehen Sie zum Schein auf Verhandlungen ein und treffen Sie mit den Banditen eine Vereinbarung. Wir räumen dann in einer Militäraktion mit denen auf.“ Unser Einwand, dabei würden somalische Unterhändler, die uns zu helfen versuchten, aufs höchste gefährdet, wird brüsk beiseite gewischt: „Macht es Ihnen etwa Spaß, sich überfallen zu lassen?“

Am Mittag des Tages nach dem Raubüberfall bringt Dahir Sheik Hassan zu uns. Der religiöse Führer warnt vor den Zwischenhändlern: „Ihr sollt niemandem Geld geben. Ich bin ein religiöser Mensch. Ich kenne keine Verhandlungen mit Geld. Das gibt es bei mir nicht, den Überfallenen auch noch Geld abzunehmen.“

Wir werden eingeladen, an den Beratungen der Ältesten teilzunehmen. Im Innenhof des ehemaligen Polizeireviers der Innenstadt, nur wenige hundert Meter vom Ort des Überfalls entfernt, sitzen unter riesigen Akazien etwa 15 Männer. Zwei von ihnen sind Sheiks, religiöse Führer, die anderen gewählte Vertreter verschiedener Großfamilien, die hier im Stadtviertel Autorität genießen und gemeinsam Entscheidungen treffen.

Lange zieht sich das Geschehen hin. Einige Jungen, Kinder fast noch, kommen herein. Sie waren gestern dabei bei dem Raub. Ungehindert verlassen sie den Hof wieder. Der Verlauf der Verhandlungen ist für uns kaum durchschaubar. Nur soviel verstehen wir: Jeder hier kennt die Räuber. Die Ältesten mißbilligen die Tat, wollen es aber darüber offenbar nicht zum offenen Streit kommen lassen. Einige der geraubten Gegenstände werden zurückgebracht: Eine Kamera, meine Tasche. Bezahlt wird nichts dafür.

Nach Stunden des Wartens vertagt sich die Runde auf den nächsten Vormittag. Hoffnungsvoll wird uns versichert, daß wir spätestens dann alles zurückbekommen: „Das Problem betrifft nicht nur euch, sondern uns alle. Ihr seid unsere Gäste“, lächelt Sheik Hassan.

Am nächsten Tag ist die Stimmung umgeschlagen. An die Stelle des fröhlichen Optimismus ist tiefer Ernst, sogar Zorn getreten. Die Männer ziehen sich in eine Ecke des Innenhofes zurück. „Es sind nicht genug Älteste der Großfamilie hier, die die Sachen hat“, erklärt uns Dahir. „Die Banditen wollen die Sachen nicht herausgeben. Jetzt wird ein letzter Versuch gemacht, im guten zu verhandeln. Dann werden Bewaffnete hingeschickt. Das hat der Rat beschlossen.“ Als wir erschrocken Einwände erheben wollen, wehrt Dahir ab: „Das ist nicht eure Entscheidung.“ Entstehen so Clan-Kriege?

Wiederum geschieht lange Zeit nichts. Dann kommt eine Frau in den Hof. Aus einem Beutel zieht sie einen unserer Pässe. Sie gibt ihn mir und stößt trotzig hervor: „Denken Sie nicht schlecht von mir. Ich bin keine Diebin.“

Eine andere Frau rückt immer mehr in den Vordergrund des Geschehens: Madina Salaad Hassan, Dahirs Schwester. Sie kommt und geht, spricht leise mit einigen der Männer. Endlich bringt auch sie einige der uns gestohlenen Gegenstände. „Sie hat die Ältesten gebeten, doch weiterzuverhandeln. Sie will nicht, daß jemand getötet wird“, erzählt uns Dahir später. Werden so Clan-Kriege verhindert? Was von dem, was uns erzählt wird, entspricht der Wahrheit – was sind Ausreden, die allen Beteiligten helfen sollen, das Gesicht zu wahren?

Die Verhandlungen enden mit einer Niederlage – für die Ältesten und für uns. Fast die gesamte Kameraausrüstung, der teuerste Teil der Beute, bleibt verschwunden. Und für die letzten der den Banditen abgerungenen Gegenstände hat Dahirs Schwester 200 Dollar bezahlt.

Aber warum sollte es auch möglich sein, für Ausländer zu bewirken, was Somalis für sich selbst schon längst nicht mehr erreichen können? Einer anderen Schwester von Dahir sind vor wenigen Tagen auf dem Markt umgerechnet rund 1.000 Dollar geraubt worden. Der Bürgerkrieg und die Anarchie haben die alten traditionellen Strukturen nicht zerstört. Aber sie haben ihre Vertreter zu hilfloser Ohnmacht verdammt. Bettina Gaus