piwik no script img

Mit Grablichtern und Rauchverzehrern

Frankfurter Lichterkette trotz Regenwetter mit über 100.000 Menschen/ Kerzenhersteller verteilten Gratiskerzen/ Polizei übernahm die Demonstrationsleitung  ■ Aus Frankfurt Heide Platen

Am Morgen nach der Frankfurter Lichterkette sind sie alle rundherum zufrieden – die DemonstrantInnen, die Veranstalter, die Polizei. Nur ein paar autofahrende Angestellte schimpften gestern früh noch auf dem Weg von der Tiefgarage ins Büro über den Vorabend. Sie hatten, hupend und eingekeilt von Menschenmassen, im Stau gesteckt.

Die Lichterkette hatte am Dienstag abend pünktlich zum Ladenschluß begonnen. Sie war von fünf Sammelpunkten aus rund um die Innenstadt gezogen, entlang der Wallanlagen. Mittendrin standen, sehr dezent in Kamelhaar und ohne Megaphon, die Veranstalter der PR-Agentur Burson-Marstaller. Die Frankfurter Polizei, die erst einmal, „Alles Chaos!“, den Zusammenbruch des Autoverkehrs registrierte, übernahm kurzerhand die Führung, zündete Kerzen in den Polizeiautos an und lief zu alleinunterhaltender Hochform auf. Zu Beginn meldete sie 50.000, dann 60.000, dann, „Es kommen immer mehr dazu!“, 100.000 Menschen. Und um 19.10 Uhr: „Der Ring ist geschlossen!“

Trotz Kritik an der Lichterkette als allein ungenügend gegen Rassismus und Ausländerhaß war der Jubel groß. Denn im ständigen feuchten, grauen Nieselregen hatte eigentlich niemand mit so vielen Menschen gerechnet. Doch die FrankfurterInnen bewiesen Erfindungsreichtum. Ihre flackernden Kerzen steckten windgeschützt in gläsernen Bierseideln und Apfelweingläsern, in Dessertschüsselchen und Blumentöpfen. Behinderte hielten Grablichter in den Händen, alte Frauen hatten den Rauchverzehrer vom Fernseher mitgebracht. Der Verband der Kerzenhersteller ließ kartonweise Kerzen verteilen. Er hatte auch acht Krankenhäuser gratis mit Kerzen versehen: „Für die Menschen, die nicht kommen können. Die stellen sie ins Fenster oder gehen wenigstens vor die Tür.“ Taxifahrer lieferten umsonst an die Bestimmungsorte.

Viele Menschen zogen auch nach dem offiziellen Ende noch mit ihren Lichtern durch die Innenstadt. Sie dekorierten die Denkmäler vom Struwelpeter bis zum bronzenen Goliath auf der Zeil mit Kerzen, stellten sie zu leuchtenden Gruppen auf Bauminseln und Brunnen zusammen und verwandelten die U-Bahn- Treppen in Lichtermeere. Traurig waren die als Weihnachtsmänner verkleideten T-Shirt-Verkäufer. Ihre Ware mit den Anti-Nazi-Parolen war wegen der Regens nicht nur schwer, sondern auch unverkäuflich geworden.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen