: Mit der SPD nach Somalia?
■ Verfassungsänderung im Konsens soll Bundeswehreinsätze außerhalb der Nato ermöglichen
Berlin (taz) – Die Bundesregierung ist bereit, mit der SPD-Opposition eine Verfassungsänderung zum Einsatz deutscher Soldaten im Rahmen von Militäraktionen der UNO zu beschließen. Nach einem Gespräch bei Bundeskanzler Kohl berichteten Außenminister Klaus Kinkel und Verteidigungsminister Volker Rühe gestern in Bonn, die Koalition wolle, „daß die verfassungsrechtlichen Grundlagen für den Einsatz der Bundeswehr bei friedenserhaltenden und friedenschaffenden Maßnahmen außer Streit gestellt werden“. Nach dem Beschluß sollen im Januar mit der SPD Gespräche geführt werden mit dem Ziel, „durch eine Verfassungsergänzung die notwendige Klarstellung zu erreichen“. Eine solche Einigung könnte auch eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in dem anhängigen Streit um den Einsatz deutscher Kriegsschiffe in der Adria entbehrlich machen. Im übrigen wolle die Bundesregierung den Bundestag an weiteren Entscheidungen beteiligen.
Damit rückt die Koalition von ihrem bisherigen Konfrontationskurs gegenüber den Sozialdemokraten ab. Bis gestern wollte die Regierung noch den Bundeswehreinsatz in Somalia ohne eine Verfassungsänderung durchsetzen. In der taz vom Dienstag hatte Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger argumentiert, der Einsatz am Horn von Afrika sei durch Artikel 87a des Grundgesetzes abgedeckt. Jetzt heißt es aus der Koalition, der Einsatz sei zwar ohne Grundgesetzänderung möglich, man wolle aber trotzdem einen Konsens mit der SPD schaffen.
Als erste Konsequenz des Koalitionsbeschlusses stoppte Rühe die zum Jahresende geplante Entsendung eines Bundeswehr-Vorauskommandos nach Somalia bis zur geplanten Bundestagsdebatte am 14. Januar.
Damit ist der Streit schon programmiert. Der außenpolitische Sprecher der Union, Lamers, beharrte gestern erneut darauf, daß eine Grundgesetzänderung den Bundeswehreinsatz nicht auf UNO- Missionen beschränken dürfe. Die SPD besteht dagegen auf reine UNO-Einsätze. In der Frage, ob die Bundeswehr auch zu Kampfeinsätzen ausrücken dürfe, sind die Sozialdemokraten gespalten. Karsten Voigt, außenpolitischer Sprecher der SPD, erklärte, bei der gestrigen Sitzung des Auswärtigen Ausschusses habe die Bundesregierung keine konkrete Verfassungsänderung angeboten. Bisher gebe es von der Regierung nur „Gerede“ und „Getöne“.
Unterdessen bahnte sich eine neue Debatte um den Einsatz deutscher Soldaten in den Awacs-Maschinen der Nato an. Diese fliegenden Radarstationen sollen im Falle einer militärischen Durchsetzung des Flugverbotes über Bosnien-Herzegowina Luftraumverletzungen an die Jagdflugzeuge der Nato melden, welche die fremden Maschinen abschießen sollen.
Militärkreise behaupteten gestern, daß die Aufklärer ohne den deutschen Besatzungsteil ihre Arbeit nicht erfüllen könnten. Lamers (CDU) sprach sich gestern für ein Verbleiben der deutschen Soldaten in den Awacs-Maschinen aus. Karsten Voigt (SPD) nannte deren möglichen Einsatz dagegen einen weiteren Punkt, der die Sozialdemokraten zur Verfassungsklage zwingen würde. klh
Siehe auch Seite 9
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