Ein Gesetz und seine Folgen

Warum Barbra Streisand in Aspen nicht mehr Ski fährt/ Bürgerrechtsgruppen organisieren Boykott gegen Colorado wegen schwulen- und lesbenfeindlicher Gesetze  ■ Aus Washington Andrea Böhm

Unbeschwerte, frohe und umsatzfördernde Weihnachten hatte sich Wellington Webb, Bürgermeister von Denver, gewünscht. In diesem Jahr wurde nichts daraus. Nicht nur seine Stadt, auch der gesamte Bundesstaat mit den Wintersportzentren Aspen, Boulder und Colorado Springs ist Zielscheibe eines Tourismusboykotts geworden, der nicht nur den Umsatz der Hotelbranche beeinträchtigt, sondern auch kräftig an der öffentlichen Reputation Colorados kratzt.

Das haben sich die BürgerInnen selbst zuzuschreiben – zumindest jene 54 Prozent der WählerInnen, die am 3. November anläßlich der Präsidentschaftswahlen auch für Amendment 2 gestimmt hatten: eine Vorlage, wonach es in ihrem Bundesstaat keine Gesetze oder Verordnungen gegen die Diskriminierung von Schwulen und Lesben geben darf. Bereits existierende Antidiskriminierungsgesetze in den Städten Denver, Boulder und Aspen wanderten damit in den Papierkorb. Amendment 2 war von einer christlich-konservativen Gruppierung mit dem Namen „Colorado für Werte der Familie“ eingebracht worden. Die Initiative wurde massiv von nationalen Organisationen der christlichen Fundamentalisten unterstützt, zum Beispiel der „Christian Coalition“ des TV-Predigers Pat Robertson, die wiederum eng mit dem rechten Parteiflügel der Republikaner verzahnt ist.

Angriffe und Beschimpfungen

Der Wahlerfolg von „Colorado für Werte der Familie“ hat für Schwule und Lesben nicht nur gesetzliche Konsequenzen: In den letzten Monaten haben sich Angriffe, Drohanrufe und öffentliche Beschimpfungen gegen Schwule und Lesben gehäuft. Sogenannte hate crime-Delikte gegen Homosexuelle sind um 350 Prozent angestiegen. „Gay bashing“, sagt Terry Schleder, Sprecherin von Boycott Colorado, „ist wieder in Mode.“

„Boycott Colorado“ wurde von Schwulen- und Lesbengruppen einen Tag nach der Abstimmung über Amendment 2 gegründet. Sie richtet sich vor allem gegen Colorados wichtigste Einkommensquelle: die Tourismusbranche, die jedes Jahr die Staatskasse mit rund fünf Milliarden Dollar auffüllt. Die Aktion machte umgehend Schlagzeilen, weil Aspen Tummelplatz des amerikanischen Showbiz ist. Hier verbringen Jack Nicholson, Don Johnson, Sally Field oder Barbra Streisand ihre Winterferien.

Inzwischen unterstützen KünstlerInnen wie die Schauspielerin Whoopi Goldberg und der Filmregisseur Jonathan Demme den Boykott. Auch Barbra Streisand, der in den letzten Wochen widersprüchliche Statements nachgesagt wurden, machte auf einer Veranstaltung der größten US-Bürgerrechtsorganisation ACLU ihren Standpunkt deutlich: „Ich werde mich persönlich an diesen Boykott halten und meine Ferien irgendwo anders verbringen. Wäre ein solches Gesetz gegen Juden oder Menschen mit anderer Hautfarbe verabschiedet worden, dann befände sich jetzt das ganze Land in Aufruhr, und niemand würde die Notwendigkeit eines Boykotts gegen einen solchen Bundesstaat in Frage stellen.“

Die Tatsache, daß Streisand diesen Winter nicht in Aspen am Skilift steht, könnte die Tourismusbranche finanziell noch verkraften. Viel einschneidender macht sich bemerkbar, daß zahlreiche Stadtverwaltungen, Berufsverbände und Gewerkschaften sich am Boykott beteiligen und Colorado als Tagungsort meiden. Die Fernsehgesellschaft ABC verlegte Dreharbeiten für eine geplante TV-Serie in einen anderen Bundesstaat. Letzten Donnerstag sagte die „Konferenz der US-Bürgermeister“ ihre für Juni in Colorado Springs geplante Jahrestagung ab. Die Stadtverwaltungen von New York, San Francisco, Atlanta, Philadelphia, Seattle und Boston haben ihren Angestellten bis auf weiteres untersagt, in beruflicher Eigenschaft nach Colorado zu reisen– es sei denn, sie zahlen es aus eigener Tasche.

30 Millionen Verluste

Die Einkommenseinbußen im Fremdenverkehr belaufen sich nach Auskunft der Handelskammer in Denver bislang auf zehn Millionen Dollar. Terry Schleder schätzt die Verluste auf 30 Millionen Dollar. Politiker und Unternehmer erinnern sich mit wachsender Nervosität an das Schicksal ihres Nachbarstaates Arizona, wo 1987 eine Mehrheit der Wähler es ablehnte, einen Feiertag zum Gedenken an den Bürgerrechtler Martin Luther King einzuführen. Es folgte ein fünfjähriger Boykott– organisiert durch afroamerikanische Gruppen und Bürgerrechtsvereine. Unter dem Strich verlor der Fiskus in Arizona 250 Millionen Dollar – unter anderem, weil sich die „National Football League“ weigerte, ihr Super-Bowl- Endspiel in Phoenix stattfinden zu lassen. Das entspräche – ins Deutsche übersetzt – etwa einer Entscheidung des DFB, in Rostock bis auf weiteres keine Bundesligaspiele mehr auszutragen. Anfang 1992 wurde in Arizona wieder ein Referendum abgehalten. Seitdem gibt es einen Martin-Luther-King- Feiertag.

Innerhalb der Schwulen- und Lesbengruppen in Colorado ist der Boykott allerdings umstritten. Die Aktion trifft vor allem Städte wie Denver, Boulder und Aspen, deren BürgerInnen, darunter auch Denvers Bürgermeister Wellington Webb, am 3. November mit großer Mehrheit gegen Amendment 2 gestimmt hatten. Sie fühlen sich durch einen Boykott zu Unrecht bestraft. So ruft zum Beispiel das „Aspen Gay and Lesbian Community Center“ weiterhin zur Teilnahme an der „Gay Ski Week“ im Januar auf.

An der Entschlossenheit nationaler Organisationen ändert das nichts. „Bei diesem Boykott geht es nicht um Colorado“, sagt Martin Hiraga von der „National Gay and Lesbian Task Force“, einer der größten Schwulen- und Lesbenorganisationen in den USA. „Hier geht es darum, den religiösen Haßstiftern der Rechten ein klares Signal zu senden: Wer ein solches Gesetz durchsetzt, der bekommt die Reaktion im Geldbeutel zu spüren.“ Gelingt der Boykott, könnte die Wirkung tatsächlich weit über Colorado hinausreichen: In über zwanzig weiteren Bundesstaaten versuchen zur Zeit christliche Fundamentalisten, ein Referendum nach dem Vorbild von Amendment 2 durchzusetzen.