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Kernschmelze auf U-Boot verhindert

■ Reparaturmannschaft starb nach Verstrahlung im Juni 1961

Moskau (AP/taz) – Sowjetische Seeleute haben vor 31 Jahren unter Einsatz ihres Lebens auf einem Atom-U-Boot im Atlantik eine Kernschmelze verhindert. Wie die russische Armeezeitung Krasnaja Swesda (Roter Stern) am Samstag berichtete, war die 6.600 Tonnen große „K-19“, eines der ersten atomar angetriebenen sowjetischen Unterseeboote, auf ihrer Jungfernfahrt zum Manöver „Polarkreis“. Am 18. Juni 1961 ereignete sich dann das Unglück: Dem Bericht zufolge befand sich das Atom- U-Boot auf Tauchfahrt in zweihundert Metern Tiefe, als das Kühlsystem in einem der zwei Reaktoren versagte und eine Explosion drohte.

Die „K-19“ hatte nach Angaben der Zeitung 139 Mann Besatzung, mehrere Atomtorpedos und drei Interkontinentalraketen mit je einem Sprengkopf von 1,4 Megatonnen an Bord. Eine Explosion hätte eine gigantische atomare Katastrophe ausgelöst. Der genaue Ort des Zwischenfalls wurde nicht genannt. Nachdem im Maschinenraum die Luke zum Reaktor geöffnet wurde, strömte radioaktiver Dampf in mehrere Räume des U-Boots. Nach einer Beratung mit seinen Ingenieuren beschloß der Kapitän des Bootes, Nikolai Satejew, ein neues Kühlsystem zu errichten. Diese von Freiwilligen verrichtete Arbeit wurde jedoch von einem Feuer behindert, daß im Reaktorraum ausbrach. Insgesamt soll es eineinhalb Stunden gedauert haben, bis durch eine notdürftige Kühlung die Kernschmelze verhindert werden konnte. Wieviel Radioaktivität dabei in das Meer abgegeben wurde, wird von der Zeitung ebenfalls nicht genannt.

Die Männer des Reparaturtrupps bezahlten ihren Einsatz mit dem Leben: Bei den Arbeiten hohen radioaktiven Strahlungsdosen ausgesetzt, wurden sie innerhalb kürzester Zeit schwer krank. „Diejenigen, die verstrahlt worden waren, schwollen sichtbar an. Ihre Gesichter wurden rot“, sagte Satejew der Krasnaja Swesda, „zwei Stunden später trat Wundflüssigkeit aus ihren Haarwurzeln aus. Bald sahen ihre Augen und geschwollenen Lippen schrecklich aus. Sie waren völlig entstellt und klagten über Schmerzen am ganzen Körper.“

Satejew steuerte das U-Boot in eine Richtung, wo andere sowjetische Schiffe vermutet wurden. Sich der Nato zu ergeben war in den Zeiten des Kalten Krieges völlig undenkbar, berichtet die Zeitung. In ihrem Stützpunkt wurde die „K-19“ von Flottenkommandeuren und Soldaten mit automatischen Waffen empfangen. Für die meisten der verstrahlten Besatzungsmitglieder gab es keine Hoffnung mehr: Innerhalb weniger Tage waren acht Offiziere und Soldaten tot, weitere sechs Seeleute starben in den nächsten Jahren an den Folgen der Strahlung. Kapitän Satejew erhielt wie alle Mitglieder der Reparaturmannschaft später einen Orden. Er arbeitete im Generalstab der sowjetischen Marine und ging 1983 in den Ruhestand.

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