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Nachschlag

■ „Freiheit und Abenteuer“ im Grips-Theater

Zwei Frauen und ein Mann hängen geknebelt und gefesselt auf einem Stuhl, unter der Decke, in einer Hängematte. Mühsam versuchen sie, sich zu befreien. Die Opfer: Schauspieler. Die Täter: Bühnenmusiker. „Die Musiker schlagen zurück“ untertiteln die Aggressoren denn auch ihr Projekt. Die sieben Musiker vom Grips-Theater wollen in „Freiheit und Abenteuer“ einmal nicht nur für den Lautteppich zuständig sein. Sie hieven sich aus dem Hintergrund auf die Hauptbühne, haben sich ihre Show selbst erarbeitet und von Regisseur Herman Vinck in Form bringen lassen. Erstmalig wird dieses Projekt nun nach mehreren Gastspielen fest ins Repertoire des Grips aufgenommen. Mit ständig wechselndem Programm, versteht sich, denn die Musiker sind es leid, zwei Monate lang ohne Unterbrechung immer das Gleiche zu spielen. Die drei Schauspieler dürfen, wenn sie sich befreit haben, dann doch mitmachen – aber schön dezent, bitte, und möglichst dekorativ. „Freiheit und Abenteuer“ ist die Umkehrung der normalen Bühnensituation, ein Rollentausch, der auf wie vor der Bühne gleichermaßen gefällt. Ein großer Spaß eben.

Die Situation ist denkbar einfach und am besten mit einer Bandprobe zu vergleichen. Gemeinsam wird ein Stück erarbeitet, und nebenbei erhält jeder einzelne die Gelegenheit, sich selbst zu produzieren: Schlagzeuger George Kranz trommelt im Dunkeln. Nur Schwarzlicht läßt seine behandschuhten Hände und die Schlagstöcke leuchten, und wie von Geisterhand fliegen sie plötzlich durch die Luft und trommeln an der Lichtschiene unter der Decke weiter. Jörg Miegel am Saxophon hat Zeit für ein langes, schönes Solo, Michael Brandt und seine Gitarre brechen aus einer Disco-Mampf-Videoproduktion aus und lassen hören, was aus diesem Instrument herauszuholen ist.

Die kleinen, witzig-ironischen Szenchen reihen sich aneineinander, und auf diese Art erstellen die Musiker einen musikalischen Bogen durch mindestens zwei Jahrhunderte: Vom Kammerkonzert – da sind die Schauspieler Zuschauer in gepuderten Perücken und Reifröcken und bedanken sich mit einem „Appel und einem Ei“ – bis zum wilden Charleston, vom wunderschönen Blues zu Beethovens Fünfter. Sie nehmen sich nicht zu ernst, die Musiker von „Freiheit und Abenteuer“, und sind sich auch nicht zu schade, in völlig alberne Sporthöschen zu schlüpfen und nach Anleitung einer der Schauspielerinnen einen absurden Steptanz hinzulegen. Als Unterlage für den klackenden Sound dienen eine Motorhaube, Wasser (!), Sand, Kieselsteine oder Glassplitter; gesteppt wird mit Turnschuhen, Schwimmflossen oder Colabüchsen. „Irgendwo muß man ja seine Luft lassen“, erklärt der Trompeter im Programmheft. Ein Ventil, das dem Schiff von „Freiheit und Abenteuer“ frischen Wind beschert. Anja Poschen

Weitere Vorstellungen: heute und morgen, 1. bis 3. Januar, um 19.30 Uhr im Grips Theater, Hansaplatz

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