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Kein Haß mehr

Rainald Goetz' „Festung“ und „Katarakt“ uraufgeführt  ■ Von Jürgen Berger

Der Soundtrack hat etwas Treibendes und schwillt hin und wieder bis zur Schmerzgrenze an. Auf der Spielfläche des Frankfurter Bockenheimer Depots wurde noch kein Wort gesprochen, und doch scheint etwas in die ehemalige Straßenbahnhalle eingeschleust worden zu sein, das man aus den Stücken von Rainald Goetz kennt: Nervosität. Dann ist es soweit, aber es geht nicht mit dem Goetz weiter, den wir kennen, sondern mit zwei neuen Theatertexten, die wenig mit seinen früheren Stücken zu tun haben. „Festung“ heißt der erste und ist eher eine Textmasse, verteilt auf eine Masse von Figuren. Am nächsten Tag wird es die zweite Uraufführung geben, in „Katarakt“ wird nur noch ein Alter sprechen.

Aber zuerst einmal sind sie alle da, von Madonna bis Beate Klarsfeld, von Helmut Schmidt über Immendorf bis Goebbels, versammelt im Café Normal oder auch in der Stuttgarter Hanns Martin Schleyer Halle. Von hier aus überträgt das Fernsehen eine Show, in der es um vieles geht: Wannsee- Konferenz, Reichskristallnacht, Mauerfall, Berliner Literaturkolloquium sind versammelt in einem großen Einerlei – inszeniert von Hans Hollmann, der es nicht mehr mit Stammheimer, Stockhausen und Co. und einem konzentriert- absurden Spiel zu tun hat. Was mag geschehen sein, daß Goetz zwischenzeitlich wie ein gekränktes Kind alle Spielsachen um sich versammelte und dann doch nicht so recht mit ihnen spielen wollte? Da liegen sie nun, manche Kostbarkeit ist darunter und viel Plunder, in einer Revue zu einem Showdown deutscher Geschichte zusammengeschraubt. Seit Hollmann vor genau fünf Jahren Goetz' „Krieg“ uraufführte, hat sich einiges getan. Mehrere historische Züge sind auf dem Weg in Sackbahnhöfe, und die TV-Show and Talk-Verflachung ist so abendfüllend geworden, daß Goetz wohl den Weg in die Persiflage suchte. Ein Weg, auf dem Hollmann ihn überholte, aber nur deutlich machen konnte, was daraus wird, wenn sich das Theater über das Fernsehen lustig machen will: keine Persiflage, sondern schlechtes Theater, moderiert von einem Trio.

Katja Epstein, Hape Kerkeling und Wolfgang Pohrt sind es, die alle auf die Bühne bitten, von Adorno bis Peter Unseld (alias Fürst Frankfurter), von Lothar de Maizière bis Rainer Werner Faßbinder. Namen und Auftritte fallen wie Herbstlaub, die Erschütterung, die sie hervorrufen, ist vergleichbar. Das name-dropping wird mehr und mehr zur demokratisch ausgewogenen Gesellschafts-, Staats- und Medienschelte, die selten solche Intensität wie bei Michaela Heisers Auftritt erhält, die als Tanja Schildknecht aus der Lindenstraße ans Mikrophon tritt. Den „Haß auf Bertelsmann“ und „Haß auf Elke Heidenreich“ preßt sie aus sich heraus, als rufe alleine schon das Aussprechen der Namen körperliche Schmerzen hervor. Inmitten des Bühnengewimmels ist es kurz so, als würde die Inszenierung eine Auszeit nehmen und zu sich finden. Die Szene bleibt jedoch isoliert stehen wie die Momente, wenn aus der Tiefe des Depots ein Deportationswaggon nach vorne rollt und Joachim Bißmeier als Erinnerungskranker nicht von der Nazi-Greuel loskommt.

Hin und wieder witzelt es auch tatsächlich inmitten der revuehaft aufgeplusterten Erinnerungsarbeit, die sich Goetz als Reaktion auf die deutsche Vereinigung verordnet hat. Jan Philips Reemtsma spricht am kalten Buffet und meint, er habe sich alle Gemüsereste von den Platten geholt, Peter Iden behauptet, mit den Käseresten ähnlich radikal verfahren zu sein. Günter Amberger und Waldemar Kobus bringen das im Plauderton, so wie man über die letzten Premieren und Aktienkurse spricht. Was allerdings hätte werden können, wenn Goetz nicht alles und jeden, das Grauenvollste und Lächerlichste, ineinander montiert hätte, wird nur dann hörbar, wenn er über sich selbst nachdenkt. Er erlaubt sich den Luxus, sich selbst in mehreren Rollen auf die Bühne zu bringen. Sein Frankfurter Double (Wolfram Koch) spielt das, als sei einer auf die Bühne geraten, der dem ganzen Treiben und sich selbst verwundert zusieht.

Das hat schon etwas von dem, was am nächsten Tag kommt, wenn Jürgen Holtz der Alte in Goetz' „Katarakt“ ist und einen Lebenslauf in elf Stadien spielt. Er beginnt als Kind, sich selbst beruhigend und seinen Wunschträumen hingegeben: Was wäre, wenn nichts Neues passieren würde und man keine Angst mehr vor Geschichten haben müßte, die man nicht kennt. Holtz steht wuchtig im Raum, sinniert dem Traum nach, findet den Ton des Kindes, ohne daß es sich infantil anhören würde. Dann geht er weiter zum nächsten Tisch, dort angekommen, geht ein Spot an. Der Höhepunkt kommt bei der Nummer sechs, wo er über die Liebe nachdenkt, die dazugehörigen Verrichtungen und die Schwierigkeiten bei der ganzen Sache: „Andererseits die Liebe/ die eben doch wahrscheinlich vorkommt massenhaft/ daß die Leute dann zusammen leben wollen/ was schon das Vernünftigste sein wird/ da es ja schließlich fast alle so machen/ oder die meisten jedenfalls“. Holtz spielt das, als müßte er sich immer wieder Mut machen, wenn er sich an solche Gedanken wagt. Er pirscht sich vor, relativiert aber alles sofort wieder durch die Art und Weise, wie er anfügt, daß es schon interessant wäre, sich dem Ganzen irgendwann einmal etwas eingehender zu widmen.

„Katarakt“ ist einer der überzeugendsten Theatertexte von Rainald Goetz und hinterläßt einen Eindruck, als habe er tatsächlich die Lebensstadien durchwandert, jetzt, da er eines hinter sich läßt. Zu dem, was zurückbleibt, gehört auch „Festung“, ein Wortgeklingel, aus dem wohl noch einmal ein Haßtext hätte werden sollen – und dabei ging es anscheinend schon um etwas anderes: um den Alten, der nicht mehr das Zerstörerische des „Kolik“-Mannes hat. Aus „Hund/Dreck/Kopf/Hau ab“ ist ein an Tabori erinnernder ironischer Witz geworden: „Andererseits heißt es doch/ du sollst nicht so viel töten“, sinniert Jürgen Holtz, und ob das auch gelte, wenn es um Nudeln und den Hunger gehe. Am Ende verebbt der Monolog. Holtz stellt Stuhl für Stuhl an die Tische zurück, und Licht für Licht geht aus.

Rainald Goetz: „Festung“. Regie und Raum: Hans Hollmann. Kostüme: Dirk von Bodisco. Mit Wolfram Koch, Joachim Bißmeier, Hans-Jörg Assmann, Michaela Heiser u.a. Schauspiel Frankfurt. Weitere Vorstellungen 30.12.; 3., 6., 14., 17., 24., 29.1.

Rainald Goetz: „Katarakt“. Regie und Raum: Hans Hollmann, Co- Regie: Jessica Steinke. Mit Jürgen Holtz. Schauspiel Frankfurt. Weitere Vorstellungen: 2., 8., 22., 28.1. Beide Stücke: 9., 15., 16., 23., 30.1.

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