: Der Neue hat seine Probezeit absolviert
■ Itamar Franco leitete als Vizepräsident monatelang die Geschäfte
Mit Ex-Präsident Fernando Collor de Mello verbindet Brasiliens neues Staatsoberhaupt Itamar Franco nur eine einzige Gemeinsamkeit: beide Männer sind geschieden. Ansonsten ist der unscheinbare und eigenbrötlerische Franco das genaue Gegenteil seines Vorgängers. Der 62jährige Elektrotechnik-Ingenieur, Vater von zwei Töchtern, verabscheut jede Art von Rummel. Erfolgreiches Marketing und wirkungsvolle öffentliche Auftritte sind für ihn ein Buch mit sieben Siegeln.
Franco, in seiner Funktion als Vizepräsident bereits seit drei Monaten amtierender Präsident Brasiliens, versichert täglich, es werde keinen Kurswechsel geben. Doch trotz all dieser Beruhigungsversuche hat sich seit dem 29. September, als Präsident Collor von seinem Amt suspendiert wurde, schon eine Menge geändert. Wirtschaftsminister Gustavo Krause schmiß überraschenderweise bereits nach 72 Tagen das Handtuch. Das Privatisierungsprogramm der Regierung Collor wurde für drei Monate unterbrochen. Die Hochzinspolitik soll abgeschwächt werden, damit die Wirtschaft wieder in Gang kommt.
Die Vorstellungen Francos, wie die Brasilianer sich aus dem Sumpf von Inflation und Rezession befreien können, bringen viele Wirtschaftswissenschaftler und Unternehmer zum Verzweifeln. Itamar verkörpert für einen Großteil der brasilianischen Führungsschicht die Rückkehr in die 50er Jahre, als der Staat der Motor des Wirtschaftswachstums war. Im kommenden Jahr will Itamar Franco rund vier Milliarden Dollar für Sozialwohnungen und Straßenbau ausgeben. Die Geldspritze im Bausektor soll etwa eine Million Arbeitsplätze schaffen.
In der Gunst des brasilianischen Volkes macht sich Itamar Francos soziale Ader mehr und mehr positiv bemerkbar. Nach einer Umfrage des brasilianischen Industrieverbands CNI vertrauen 60 Prozent der Befragten dem neuen Präsidenten, und die Hälfte glaubt daran, daß Itamar Franco Brasilien während seiner Amtszeit aus der Krise retten kann.
Zwei Erfolge kann die neue Regierung bereits für sich verbuchen: Der brasilianische Kongreß hat in der vergangenen Woche die Lohnpolitik von Arbeitsminister Walter Barelli gebilligt, die den brasilianischen Mindestlohn auf hundert Dollar im Monat festlegt. Die Anpassung an die Inflation erfolgt nun im Zweimonatsrhythmus, und nicht, wie unter der Regierung Collor, nur alle vier Monate. Der Sympathie der Rentner kann sich Itamar Franco ebenfalls sicher sein: Dank Informatisierung ist es Sozialminister Antonio Britto gelungen, die Bezüge um 147 Prozent anzuheben – ein Recht, für das die Rentner unter Collor vergeblich protestiert hatten.
Die Nachfolge von Fernando Collor bedeutet für Itamar Franco einen enormen Karrieresprung. Bis jetzt beschränken sich seine politischen Erfahrungen auf zwei Mandate als Bürgermeister in seiner Heimatstadt Juiz de Fora im Bundesstaat Minas Gerais und eine Legislaturperiode im brasilianischen Senat. Eine genaue Beschreibung seines Regierungsprogrammes ist er der Öffentlichkeit bisher noch schuldig geblieben. Nur eines steht bereits heute fest: Itamar Franco verfügt im Gegensatz zu Ex-Präsident Collor über eine stabile Mehrheit im Kongreß. Die Abgeordneten, die Collor abgewählt haben, sind für den Erfolg seiner Übergangsregierung mitverantwortlich.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen