Italiens neuestes Polit-Feuerwerk

■ Kontroverse nach der Verhaftung eines Antimafia-Kämpfers/ Ein Maulwurf der „Cosa nostra“?

Rom (taz) – Die Tage zwischen Weihnachten und Neujahr haben in Italien nur selten etwas von friedlicher Ruhe oder festlicher Besinnung – ganz im Gegenteil. Mal, wie im Jahre 1980, legt ein Mafia-Killerkommando den Regionalpräsidenten Siziliens um, mal wird, wie 1983, nahezu die gesamte Familie des späteren Cosa- nostra-Aussteigers Tommaso Buscetta erschossen. Mal geht im Schnellzug Neapel–Bologna eine Bombe hoch, wie 1984, und reißt 17 Menschen in den Tod; manchmal sind es auch unblutige Ereignisse, die die BürgerInnen schwer mitnehmen – 1988 beschloß die Regierung beispielsweise eine derart massive Steuerhöhung, daß sie als „Neujahrsnepp“ bis heute ein Begriff ist.

Dieses Jahr nun ist es ein schwerer institutioneller Skandal, der das Land erschüttert: am 28. Dezember wurde der leitende Polizeidirektor Bruno Contrada, Abteilungsleiter im zivilen Geheimdienst SISDE (vergleichbar unserem Verfassungsschutz) unter dem Verdacht verhaftet, jahrelang ein regelrechter „Maulwurf“ der Mafia gewesen zu sein. Contrada, der Ende der 70er Jahre Polizeichef von Palermo und später Kabinettschef im „Hochkommissariat zur Koordinierung des Kampfes gegen das mafiose Verbrechen“ war, soll durch Hinhaltetaktiken und Vernebelungsmanöver skrupellose Mafiosi gedeckt, dem obersten Boss aller Bosse, Salvatore Riina, trotz drei Dutzend Haftbefehlen bis heute ein unbeschwertes Leben in Palermo ermöglicht und zur Ausspähung guter Gelegenheiten zur Ermordung unbestechlicher Ermittler beigetragen haben.

Die Anklagen kommen von sogenannten pentiti, Aussteigern aus der Cosa nostra, die übereinstimmend erklären, Contrada sei seit mehr als eineinhalb Jahrzehnten „ihr Mann“ gewesen. Parallel dazu haben inzwischen mehrere ehemalige Vorgesetzte Contradas erklärt, sie hätten ihm so wenig getraut, daß man besonders wichtige Aktionen nicht mehr in Palermo, sondern in Rom vorbereitet und mitunter sogar Ablenkungsmanöver durchgeführt habe, um Contrada keine Chancen zum Verrat zu geben.

Diskreditierungsmanöver?

Insoweit schien die Sache zu Wochenanfang klar – ein Skandal sondergleichen, stellt man in Rechnung, daß es erste Verdachtsmomente gegen den Mann schon Ende der 80er Jahre gab, Contrada aber bis heute ungehemmt Posten in den sensibelsten Stellen des Antimafia-Kampfes einnehmen konnte. Doch Dienstag und Mittwoch kehrte sich die Situation zusehends um – Politiker und hohe Beamte, Minister und Staatssekretäre gerieten in heftigen Streit, ob Contrada wirklich Schuld vorzuhalten sei, und ob nicht ein gezieltes Manöver einen bewährten Polizisten anschwärzen soll. Der Agent selbst verteidigte sich mit dem schlichten Hinweis, schließlich seien alle „Kronzeugen“, die ihn anschuldigten, von ihm selbst verhaftet worden, Rache also das einleuchtende Motiv der Aktion.

Schützenhilfe bekam der Angeschuldigte von Vincenzo Parisi, dem Chef der Criminalpol (vergleichbar mit unserem BKA-Präsidenten). Er nahm seinen einstigen Mitarbeiter – „bis zum Beweis des Gegenteils“ – voll in Schutz: er „sehe weder Beweise“, noch habe seine Behörde „irgendwelche Indizien gefunden“, die die Anschuldigungen bestätigten.

Das brachte ihm sofort eine scharfe Rüge des ehemaligen Chefanklägers im Mafia-Großprozeß von Palermo und nunmehrigen republikanischen Parlamentsabgeordneten Giuseppe Ayala ein: Parisi habe den Wert der „Kronzeugen“ herabgemindert und damit „eine gefährliche Bresche in die Antimafia-Front geschlagen“. Dagegen zogen wiederum der christdemokratische Innenminister Nicola Mancino sowie der Vorsitzende der Antimafiakommission, Luciano Violante von der oppositionellen „Demokratischen Partei der Linken“ zu Felde: Parisi habe nichts gegen die „Kronzeugen“ gesagt, sondern lediglich auf das demokratische Prinzip der Unschuldsvermutung hingewiesen.

Das brachte die Abgeordneten der Antimafia-Partei „la Rete“ auf die Palme: sie fordert eine Untersuchung nicht nur des Zusammenspiels von Mafia und Geheimdienst. Sie wünscht auch eine Durchleuchtung aller Vereine und Gruppen, in denen Contrada Mitglied war, unter anderem des „Ordens der Ritter vom Heiligen Grab“, in dem sich Palermos Oberschicht – Bankiers und Unternehmer, hohe Beamte und Parteifunktionäre, Militärs und Journalisten – nicht nur zur Ausschmückung christlicher Erinnerungsstätten, sondern auch zwecks Ausmauschelns lokaler und regionaler Geldzuweisungen und Auftragsakquisitionen zusammengefunden hatte.

Wie die Sache auch ausgeht: für ein Weiterbrennen des Silvesterfeuerwerks noch weit ins neue Jahr hinein dürfte gesorgt sein. Werner Raith

(Siehe auch Seite 10)