: In der Kälte ist das Ego nackt
■ Von Emsigen, Gesundniks, Offenherzigen und Abenteuerlustigen: Kleine Typologie der kalten BremerInnen
Sie denken, klirrende Kälte verändert die Menschen? Sicher, von außen betrachtet: Unter Schal und Pudelmütze versinken bekannte Gesichter in Unkenntlichkeit. Aber sonst? Innen??
Befragungen im Blockland und im Bürgerpark bringen es an den Tag: Charakterzüge, die bei durchschnittlichen Bedingungen leicht übersehen werden, kommen bei Temperaturen unter Null erst richtig zum Durchbruch. Die Kälte offenbart das Ego.
Die Gattung der Emsigen, namentlich nicht zu nennen, weil so zahlreich, steht bei krachendem Frost in der ersten Reihe. Sie nehmen die Gelegenheit beim Schopf und die Familie ins Schlepptau: nach draußen. Ihr ständiges Gerede „Wer rastet, rostet“, wird am Gefrierpunkt zur triumphierenden Wahrheit: Wer wollte bestreiten, daß bloßes Hocken in der Kälte das Rost-Stadium beängstigend nahe bringt.
Ihnen am engsten verwandt ist die Gruppe der Gesundniks. Mit „Halte Kopf und Füße warm, das macht jeden Doktor arm“ trotzt das Ehepaar Hellwig im Bürgerpark Wind und Wetter. Über siebzig ist es auf diese Weise schon geworden.
Die Offenherzigen, sollte man meinen, haben es da schon schwerer. Ihr Liebstes, das Fleisch, liegt bedeckt. Als Charaktere sind sie bei kaltem Wetter nicht leicht ausfindig zu machen. Aber sie nutzen ihre Chance. Schon die allgemeine Frage nach nach ihrem Kälte- Tip: „Wie schützen sie sich vor Erfrierung?“ signalisiert ihnen Einsatz. „Warm anziehen!“, rufen sie und lüpfen bereitwillig das Hosenbein.
Wer möchte, kann sich überzeugen: Lagen von Socken und Skiwäsche werden auseinandergezupft und gezählt, bis sie auf bloßen Grund stoßen.
Mit dieser Taktik entsprechen sie schon fast den Abenteuerlustigen, denen jede Temperatur recht ist, um sich zu erproben. Zu ihnen gehören die Gerlachs. Ohne Hut und Ohrenschützer haben sie sich auf's Blocklander Eis begeben.
Das Töchterchen macht das Beste draus. „Wir hätten sie eincremen sollen, das schützt ja“, gesteht der Vater, „aber daran haben wir nicht gedacht. So kalt haben wir's ja schon lange nicht mehr gehabt!“
Das denkt sicher auch der kleine Hund, der hinter seinem Frauchen herzittert. Sie wiegelt ab: „Er friert nicht, er zittert vor Angst“. Und dann verspricht sie, daß sie ihm aus einem alten Handschuh ein Leibchen basteln wird, wenn's weiter so kalt bleibt.
Nur für Stubenhocker und Vielschläfer bringen minus zehn Grad Frost wahre Freude. Wo sie schon immer am liebsten sind, in Bett und Stube, zelebrieren sie die Saison: Hinterm Ofen ist gut poofen.
ede
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