■ Neu im Kino:: The Crying Game
Neu im Kino:
The Crying Game
Ein britischer Soldat sitzt gefesselt und mit einem Sack über dem Kopf vor dem IRA Aktivisten Fergus, der ihn entführte, ihn bewacht und wahrscheinlich auch erschießen wird. Beide werden Freunde fürs Leben, und das ist in diesem Fall viel mehr als nur eine Redewendung. Der irische Regisseur Neil Jordan läßt den Schauspielern Forest Whitaker und Stephen Rea in den ersten 40 Minuten des Films viel Raum, und ihre bizarre, romantische und makabere Beziehung, die sich nicht auf das Täter—Opfer Schema reduzieren läßt, hätte den meisten anderen Regisseuren für einen abendfüllenden bitter—rührenden Thriller gereicht.
Aber wie Hitchcock in „Vertigo“ wagt es Jordan, dem Zuschauer mit einem Schockeffekt am Schluß des ersten Aktes den vermeintlich sicheren Boden unter den Füßen wegzuziehen, und der Rest des Filmes hat so viele überaschende Wendungen und Pointen, daß wir zusammen mit Fergus unsere festgefügten Meinungen über Ideologien, Sex, Gewalt und Liebe neu überdenken müssen. Weil „The Crying Game“ im zweiten und dritten Akt, die beide in einem heruntergekommenen, zwielichtigen Kino — London spielen, vor allen Dingen durch die verblüffenden Wendungen des Plots wirkt, wird man schnell zum Spielverderber, wenn man nur ein wenig zuviel verrät. Fergus sucht und findet die Freundin seines britischen Freundes, die IRA sucht und findet den in London untergetauchten Fergus...: das muß reichen.
Mit solchen raffiniert ausgefeilten Geschichten tappen Regisseure oft in ein böse Falle; gerade wenn sie wie Jordan selber das Drehbuch verfaßt haben, sind sie zu verliebt in die eigenen Cleverness und lassen den Plot mechanisch wie ein Uhrwerk ablaufen. Zu Beginn des zweiten Aktes kann auch Jordan dieser Versuchung nicht entgehen: über zehn Minuten lang wird da eine Pointe vorbereitet, und obwohl diese dann genau sitzt, hat der Film inzwischen viel von seinem drive verloren. Aber für den Rest des Films beweist Jordan ein sicheres Gespür für Atmosphäre und Timing, und das Finale hat wieder die gleiche emotionale Wucht wie der furiose Beginn.
Dieses Irland kennen wir schon aus Jordans ersten Spielfilm „Angel“ (in dem Stephen Rea auch schon die Hauptrolle spielte), und die Londoner Szenen erinnern an seinen größten Erfolg „Mona Lisa“. Aber man hat dennoch nie das Gefühl, Jordan wärme sein altes „Irish stew“ nochmal auf. Es sind einfach die Filmwelten, von denen er am wahrhaftigsten erzählen kann. So wie Graham Green, der Jordan eindeutig beinflußt hat, immer aus dem „Greenland“ berichtete, sind auch Jordans Irland und London eher Gefühlszustände als geographische Orte. Wilfried Hippen
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