: Quadrille getanzt
Der Briefwechsel zwischen Dietrich Bonhoeffer und Maria von Wedemeyer ■ Von Esther Röhr
Nicht nur Kirchen sind nach ihm benannt, sondern auch Straßen und Plätze: Der Pfarrer Dietrich Bonhoeffer aus Charlottenburg ist wie kein anderer Theologe dieses Jahrhunderts beinahe mehr im säkularen als im sakralen Raum präsent. Die Geradlinigkeit, mit der ihn sein eigenwilliger Christusglaube mitten hinein in den politischen Widerstand führte, fasziniert allerorten – denn sie brachte Bonhoeffer den Tod.
Der Tod im KZ Flossenbürg ist das Zentrum der Aureole, die einen der letzten Heiligen der Moderne ebenso umgibt wie sein fragmentarisch und ungeordnet gebliebenes Werk. Der bei weitem bekannteste Teil besteht aus Briefen und Aufzeichnungen aus der Haft im Tegeler Militärgefängnis. Auflagen in Millionenhöhe haben „Widerstand und Ergebung“ über den ganzen Erdball verbreitet – die Fachwissenschaft allerdings behandelt Bonhoeffer mit Zurückhaltung. Zu wenig Zeit hatte der Sohn eines Professors für Psychiatrie, um seine Gedanken in eine vielbändige Systematik zu bannen, und fast zu radikal war das, was er dachte, um überhaupt noch theologisch verwertbar zu sein. „Ich will [...], daß man auf alle pfäffischen Kniffe verzichtet.“ Bonhoeffers Kritik richtet sich an eine Kirche, die sich auf die „Kammerdienergeheimnisse“ des Menschen spezialisiert, anstatt seine „Mündigkeit“ anzuerkennen. Das „religionslose Christentum“, das er fordert, ist mehr als eine private freundliche Pose. Daß sich Transzendenz nur in „echter Weltlichkeit“ ereignet, macht das Kreuz, an dem Jesus von Nazareth starb, zum Anker einer konsequent diesseitigen Lebenshaltung — und zweifelsfrei zum Politikum.
Was Wunder, daß Bonhoeffer sich gegen die Möglichkeit entschied, ins US-amerikanische Exil zu gehen; daß er sich auch der inneren Emigration der Bekennenden Kirche nicht anschließen konnte. Deren vorsichtiges Taktieren, endlich ihre Einwilligung in die Verordnung der offiziellen Reichskirchenregierung zum Loyalitätseid der Pastoren auf Hitler kommentiert Bonhoeffer: „Es ist ja doch alles nur Angst.“ Angst und Kompromißbereitschaft: nach der sogenannten „Kristallnacht“ des 9.November 1938 ist von der Bekennenden Kirche kein offizielles Wort mehr zu hören.
„Ich werde nicht älter als 37 Jahre werden.“ In dieser frühen, spontanen Vorahnung irrte sich Bonhoeffer nur wenig. Neununddreißigjährig wurde er am 9.April 1945, drei Wochen vor dem Selbstmord Hitlers, frühmorgens gehängt. Vierundzwanzig Monate zuvor war er verhaftet worden. In Tegel zunächst streng isoliert, erwog er, den „Schlußstrich“ zu ziehen: „weil ich im Grunde schon tot bin“. Der äußerst disziplinierte, dabei sanfte Mann aber beginnt wieder zu hoffen: darauf, daß nicht genügend belastendes Material vorliegt, dann auf den 20.Juli 1944, an dem jedoch Stauffenbergs Attentat scheitert, und schließlich auf ein Ende des Krieges, das von dem „Spuk“ des Nazi-Regimes auf immer befreien würde.
Der gegen Bonhoeffer lang gehagte Verdacht erhärtete sich durch zwei Aktenfunde im Amt Canaris. Offiziell als ziviler V- Mann des militärischen Abschirmdienstes tätig, nutzte „Pastor Bonhoeffer“ seine Auslandsreisen für konspirative Zwecke. Unter den Verschwörern der Canaris- Gruppe, die auf Befehl Hitlers unverzüglich „vernichtet“ wird, sind auch zwei Schwäger Bonhoeffers und sein Bruder Klaus: Der Verfechter „echter Weltlichkeit“ entstammt einem „exemplarischen Widerstandshaushalt“, wie zu Recht gern formuliert wird.
Briefe aus Tegel an die Eltern und an den Freund und einstmaligen Schüler Eberhard Bethge lassen kaum je ahnen, in welch verzweifelter Lage sich Bonhoeffer befindet. Dann und wann bittet er um Lebensmittel oder um ein Buch, doch hütet er sich, einen anderen als einen festen und geradezu frohen Ton anzuschlagen: „Ich sitze bei offenem Fenster, in das die fast frühlingsmäßige Sonne scheint, und ich nehme diesen ungewöhnlichen schönen Jahresanfang für ein gutes Omen. [...] Es geht mir gut. Ich arbeite wieder etwas konzentrierter und lese mit besonderer Freude Dilthey.“ (14.Januar 1944) Bonhoeffers Gelassenheit ist legendär und angesichts seines Todes die Basis für ein Martyrium, das – einem Alibi gleich – ein kollektives Versagen gnädig in sich aufzunehmen scheint. Aber war Bonhoeffer ein Märtyrer?
„Findest Du Dahlien auch häßlich? Aber Astern mag ich gern und Akelei.“ Maria von Wedemeyer ist 18 Jahre alt, als sie sich im Januar 1943 mit jenem engagierten Theologen verlobt. Er hatte in ihrer politisch wachen Großmutter eine enge Vertraute gefunden. Um ihre noch so junge Enkeltochter Maria besorgt, legt sie dem verlobten Paar ein Jahr der Trennung, des Bedenkens nahe. Als die temperamentvolle Maria im April ihrer Selbstprüfung müde und entschlossen ist, mit Dietrich allen Verboten zum Trotz ein Treffen zu vereinbaren, ist es bereits zu spät: Bonhoeffer ist verhaftet. Dem Mann, zu dessen Händen sie zuerst und unmittelbar ein tiefes „Vertrauen“ faßte, sucht Maria nun in einigermaßen zensurgerechten Briefen zu begegnen. Mit Innigkeit entwirft sie den Garten, der einmal beider Haus umgeben soll, sie erzählt von dem „blauen Sopha“, das ihre Großmutter dem Paar ebenso zur Verfügung stellen wird wie ihre „hübsch altmodischen“ eigenen Trauringe, und sorgt sich um Dietrichs Rheumatismus.
„Du bist überall um mich, wo ich in meiner Zelle hinsehe, sehe ich Dich.“ Bonhoeffers „geliebte Maria“ ist wiederholt gedrängt worden, die an sie gerichteten Briefe ihres Verlobten freizugeben. 1967 veröffentlicht sie, inzwischen in die USA ausgewandert und zum zweiten Mal geschieden, zögernd wenige Auszüge aus tausenden von Zeilen unter dem bezeichnenden Titel „The other letters from prison“. In der Tat, „andere“ Briefe sind es als diejenigen, die berühmt, ja populär geworden sind – ihrer theologischen Inhalte wegen, und weil sie Zeugnis ablegen für deren offenbare Kongruenz mit bewußt riskiertem und schließlich, wie man sagt, demütig erlittenem Schicksal. Doch soll sich „ein Mensch in den Armen seiner Frau nach dem Jenseits sehnen (?) Das ist milde gesagt eine Geschmacklosigkeit und jedenfalls nicht Gottes Wille.“ Wenn auch Bonhoeffer hier, wie die meisten seiner Kollegen, gemeinhin den Menschen mit dem Mann verwechselt, so entbehrt doch diese Bemerkung nicht eines gewissen Charmes. „In den Armen seiner Frau“ hat Bonhoeffer nicht gelegen. Maria und Dietrich tauschen ihren ersten Kuß bei einer der seltenen „Sprecherlaubnisse“ im Gefängnis: unter Aufsicht.
Maria von Wedemeyer hat ihr Tagebuch aus der Verlobungszeit versiegelt und nie wieder geöffnet. Ihre Korrespondenz mit Bonhoeffer las sie zuletzt auf dem Sterbebett: Kurz vor ihrem Tod willigte sie in eine Herausgabe der begehrten Briefe ein – aller Briefe, auch ihrer eigenen. Ein Glücksfall für Lesende: Das umfangreiche Buch „Brautbriefe Zelle 92“ entfaltet seinen Sinn erst im Dialog zweier Menschen, die ihre Dialogfähigkeit vor dem Wahn des Nazismus zu retten suchen. Es sind die kleinen großen Gefühle, die gegen den Tod aufbegehren, trotzend und waghalsig, obwohl sie vielleicht nur eine Fiktion sind – denn wen eigentlich liebt Maria, und wen glaubt Dietrich zu lieben?
„Kannst Du eigentlich Quadrille tanzen?“ Viel gibt es zu fragen für die Gutsherrentochter aus Pätzig an der Neumark. Maria, die reitet und auf Bäume klettert, foppt den damals schon nicht unbekannten Theologen ebenso wie sie fürchtet, ihm nicht genügen zu können. „Ich muß Dir mal was Schlimmes schreiben, die Theologie ist für mich eine völlig unbegreifliche Wissenschaft.“ Freundlich empfiehlt Dietrich „als Gegengift eine kräftige Dosis Kierkegaard“ und – „Don Quichote“.
Im Grunde sind diese Briefe unspektakulär. Und doch schimmert durch sie der von Zärtlichkeit getragene Wille, dem Grauen des Hakenkreuzes zu widerstehen. „Ich habe einen Kreidestrich um mein Bett gezogen etwa in der Größe Deiner Zelle [...] Und wenn ich da sitze, glaube ich schon beinahe, ich wäre bei Dir.“ Maria von Wedemeyer, die noch 1945 Mathematik zu studieren begann und zuletzt zum Management des Konzerns Honeywell gehörte, bleibt lebenslang „unglaublich verletzlich“ in bezug auf ihre Liebe zu Bonhoeffer, die sich nur im „Warten“ äußern konnte. „Warte mit mir! Ich bitte Dich!“ Bonhoeffers Worte verhallen unter dem Galgen.
„Brautbriefe Zelle 92“ – dieses sorgfältig durchdachte, vorbildlich edierte Buch ist mehr als eine vornehme Geste der Erinnerung. Der Duktus des Intimen, der Briefen und insbesondere Liebesbriefen anhaftet, weist weit über den Mythos des Widerstandskämpfers hinaus. „Du mußt schon wissen, wie es mir wirklich zumute ist und mich nicht für einen geborenen Säulenheiligen halten.“ Wie Bonhoeffer „wirklich“ zumute war, bleibt uns ebenso verschlossen wie jedwede „Wirklichkeit“ der Opfer des Dritten Reiches. Die „Brautbriefe“ Marias und Dietrichs aber gewähren Partizipation an einem höchst notvollen, wenngleich euphorischen Miteinander. Maria von Wedemeyers bis zu ihrem Tod bewahrter Wunsch, auch „als der Mensch, der ich jetzt bin, neben Dietrich zu stehen“, holt Vergangenes in die Gegenwart. Daß sich die biografischen „Notizen“ im Anhang dieses Buches Maria von Wedemeyer mit gleicher Ausführlichkeit widmen wie Dietrich Bonhoeffer, ist eine bessere Prophylaxe gegen das Vergessen als jedes Straßenschild.
„Brautbriefe Zelle 92. Dietrich Bonhoeffer – Maria von Wedemeyer 1943–1945“. Herausgegeben von R.-A. von Bismarck und U. Kabitz. Mit einem Nachwort von E. Bethge. C.H. Beck 1992, 308 Seiten, 48DM.
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