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■ Der Pazifismus ist nicht sturmreifVorsicht Falle – Blauhelm!

Seit dem Golfkrieg werden PazifistInnen und AntimilitaristInnen systematisch in einen Kesselkampf getrieben. Daß Militärs und deren Lobby die Friedensbewegung diffamieren, ist altbekannt. Neu ist allerdings, daß immer mehr Ex-Friedensbewegte und Linke sich an der Bekämpfung von radikalen MilitärgegnerInnen beteiligen. Der Pazifismus soll sturmreif geschossen werden. Wer Militäreinsätze als ultima ratio propagiert und Andersdenkende der politischen Naivität bezichtigt, findet heute beim Establishment und den Medien leicht Gehör.

Die neue Weltordnung verlange neues Denken, auch von den Linken und AntimilitaristInnen: Neue Hitlers müssen vernichtet werden, und zwar militärisch.

Wer fragt schon, wer sie aufbaut? – Militäreinsätze führen nicht zur Lösung von Konflikten, sie legitimieren Militär immer wieder neu: Armeen verlangen Waffen. Die Rüstungsindustrie produziert sie. Um die Stückkosten zu senken und den Profit zu maximieren, exportiert man. Besonders lukrativ gestaltet sich der Export in Krisengebiete, vor allem wenn allen verfeindeten Parteien geliefert wird. Die Krise eskaliert. Ladenhüter und überholte Kriegstechnik lassen sich verscherbeln. Die Kasse klingelt.

Bedroht die Krise „vitale Interessen“, zum Beispiel den ungehinderten Zugang zu Rohstoffen, dann schickt man schnell die eigene Truppe zur „Friedenssicherung“. Im Namen von Demokratie und Menschenrechten wird dann die neueste Kollektion der Waffenschmieden ausprobiert. Jede so scheinbar bewältigte Krise reproduziert diese zerstörerische Methode der Konfliktlösung neu.

Nach der Auflösung des Ost- West-Konfliktes gerieten die Armeen in ihre schwerste Legitimationskrise. Neue Zielsetzungen mußten gefunden und der Bevölkerung als notwendiges Übel verkauft werden. Der neue Generalinspekteur der Bundeswehr, Naumann, verkündete deshalb mit der „Sicherheitspolitik im Umbruch“ die künftigen Aufgaben:

– „Schnell verlegbare Kräfte werden zur Bewältigung kleinerer Konflikte und für Krisenmanagement (...) in Mitteleuropa wie überall im Bündnisgebiet benötigt.“

– „Wir haben uns auf die neue Dimension eines jederzeitigen Einsatzes (...) von einzelnen Soldaten oder von Streitkräften in größeren Zusammenhängen außerhalb deutschen Territoriums einzustellen.“

– „Vor allem bedeutet der künftige Auftrag der Bundeswehr für die Soldaten (...) Risiko für Leib und Leben. Sie müssen deshalb wissen, daß Sie bei seiner Ausführung von unserem Volk gestützt und getragen werden (...) Ich appelliere an Sie, die künftigen Führer und Planer unserer Streitkräfte, hier eine aktive Rolle in der Bewußtseinsbildung zu übernehmen. (...) stehen wir zu dem uns gegebenen Auftrag, der Kampf und Einsatz der Bundeswehr innerhalb und außerhalb Deutschlands – zunächst noch im Bündnisgebiet – einschließt.“

Mit einem modernisierten Vokabular vernebeln die Strategen die Diskussion. Die „Weltverantwortung“ und die „Gestaltungsfunktion“ erfordern schnelle Eingreiftruppen, sogenannte „Krisenreaktionskräfte“, die notfalls „Friedenserzwingungsmaßnahmen“ ausführen.

Unter dem Deckmantel „humanitärer Hilfsmaßnahmen“ bereiten Regierung und Bundeswehr die Bevölkerung auf immer weitergehendere Einsätze vor. Die Medien präsentieren ausgewähltes Elend: Hungerbilder, marodierende Banden, Vergewaltigungsopfer, zerstörte Städte. Anschließend propagiert man die Notwendigkeit der Militäreinsätze, weil viertelherzige Verhandlungen ergebnislos geblieben seien.

All jene bleiben in der Spirale der Gewalt gefangen, die sich auf Militäreinsätze einlassen. Wo eine Krise existiert und wann sie bekämpft wird, das bestimmen die Regierung und die Militärs. Wer glaubt, mit Grundgesetzänderungen die Ausweitung der Blauhelm- oder Kampfeinsätze verhindern zu können, der irrt sich gewaltig. Bestenfalls hätte die Friedensbewegung die Möglichkeit, allem zuzustimmen, jedoch keinen Einfluß auf die Entscheidung. Die Blauhelmdebatte ist nur ein Ablenkungsmanöver; ihre Hinterhältigkeit besteht in der heuchlerischen Doppelbödigkeit. Einerseits wird ständig der militärische Einsatzrahmen der Blauhelmaktionen per Neuinterpretation der UNO-Bestimmungen ausgedehnt, hin zu einer Art Weltarmee unter dem Diktat des UNO-Sicherheitsrates, und andererseits verschiebt sich damit zusätzlich die außenpolitische Hemmschwelle für noch offensivere Einsätze.

Auch der Blauhelmsoldat ist und bleibt ein Soldat, der für die gewaltsame Konfliktlösung benutzt wird. Die Existenz von Soldaten erschwert alternative Lösungen. Wer Blauhelm- oder Kampfeinsätze anderer Verbände fordert, denkt kurzsichtig und verweigert die Anwendung des Verursacherprinzips.

Anstatt am Gängelband der Militärs mitzumarschieren, käme es jetzt darauf an, sich für eine nichtmilitärische Politik einzusetzen. Konkret bedeutet dies, sich konsequent für die Umwandlung der Rüstungs- in eine Zivilproduktion zu engagieren und Rüstungsexport sowie Know-how-Vermittlung radikal zu bekämpfen. Wirtschaftsbeziehungen zu kriegsunterstützenden Ländern sind abzubrechen, selbst wenn es in der Handelsbilanz zwickt. Humanitäre Hilfe gehört in zivile Hände.

Anstelle von militärischer Einmischung sollte dem Kriegstreiben die Substanz entzogen werden. In Belgien trafen sich im Oktober 1992 fast 400 von 580 GemeindevertreterInnen, um konkrete Hilfe für Jugoslawien zu leisten. Sie beschlossen, Patenschaften für jugoslawische Städte aus allen Regionen zu übernehmen, die Friedensbewegung Jugoslawiens zu unterstützen, Flüchtlingen in Jugoslawien zu helfen und Geflohene aufzunehmen. Eine ähnliche Initiative breitet sich gerade in der Schweiz aus. Was tun die deutschen Gemeinden?

EuropäerInnen sollen sich einmischen, und zwar ohne Militär. In den Bürgerkriegsarmeen in Jugoslawien dienen massenhaft Zwangsrekrutierte, die sofort abhauen würden, wenn ihnen eine Alternative geboten würde. Europa könnte die erste große Abwerbeaktion einleiten. Ein europaweiter, möglichst staatlicher Aufruf zur Desertion mit garantiertem Bleiberecht und Arbeitserlaubnis wäre ein epochaler Schritt zum Frieden.

Besonders in einem Land, in dem bis heute der Wehrmachtssoldat mehr gilt als der Deserteur, in dem mehr Kriegsdienstverweigerer im Arrest oder im Knast sitzen als Rüstungsverbrecher, wäre ein solcher Wechsel von der Militärfreundlichkeit zum Antimilitarismus ein substantieller Fortschritt. Daran zu arbeiten ist mühsam, Anpassung an die Scheinlogik des Militarismus käme aber einer lebenslänglichen Arretierung des Friedens in der Beugehaft der Militärs gleich. Christian Herz u. Angela Lorenz

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