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Plutonium-Frachter erreicht Japan

Diplomatisch war der Transport in jedem Fall ein Desaster/ Angst vor Atommacht Japan/ 40 Staaten legten offiziellen Protest ein/ 50 Atomkraftgegner im Hungerstreik  ■ Von Hermann-Josef Tenhagen

Berlin (taz) – Ihr Name ist „Morgendämmerung“. Und sie taucht planvoll immer nur aus der Dämmerung auf. Wenn alles nach dem großen staatlichen Plan gegangen ist, zeichnete sich gegen 7 Uhr am Dienstag morgen (gestern nacht um 22 Uhr MEZ) die Silhouette des bestbewachten Frachtschiffs der Welt vor dem Hafen der japanischen Kleinstadt Tokai ab: die „Akatsuki Maru“, das japanische Plutonium-Schiff. Mit 1,5 Tonnen Plutonium aus Frankreich an Bord, einem Hubschrauber tragenden japanischen Kampfschiff hinter und angeblich zwei amerikanischen Atom-U-Booten unter sich hat das Schiff seine zweimonatige 30.000-Kilometer-Reise um den halben Erdball dann heil überstanden.

In der Morgendämmerung war die Akatsuki Maru Anfang November nach tagelangem Rätselraten im französischen Hafen von Cherbourg eingelaufen und hatte das Plutonium an Bord genommen. Verfolgt von Greenpeace- Schiffen, umrundete sie auf der Weltreise das Kap der Guten Hoffnung, kreuzte immer noch heil südlich von Australien durch die Tasmanische See und durchquerte schließlich, viel diplomatisches Porzellan zerschlagend, die protestierende pazifische Inselwelt. Physisch heil ist sie jetzt wohl in Tokai angekommen, viel heiler jedenfalls als die japanische Regierung, für die die Reise ihres Atomfrachters zum diplomatischen Desaster geriet.

Im Hafen von Tokai, 120 Kilometer nördlich von Tokio, erwarteten den Frachter eine große Zahl protestierender Atomkraftgegner, denen – so hieß es gestern – 1.600 Polizisten gegenüberstehen sollten. 50 Menschen, darunter buddhistische Mönche und der prominente Atomkraftgegner Jinzaburo Tagaki haben einen Hungerstreik begonnen, die Regierung in Tokio dagegen hüllt sich in Schweigen. In Tokai steht die eigene zehn Jahre alte atomare Wiederaufarbeitungsanlage der Japaner.

Mit Protesten von Umweltschützern und insbesondere von Greenpeace gegen den ersten einer Reihe von geplanten Plutoniumtransporten hatte die japanische Regierung gerechnet. Was aber seit dem vergangenen Sommer über sie hereinbrach, war ein diplomatischer Alptraum. Der zuständige Beamte im japanischen Forschungsministerium, Toichi Sakata, räumte ein: „Niemand von den mit dem Transport befaßten Stellen hat eine derartig hohe öffentliche Aufmerksamkeit erwartet.“

Den Start brachte eine ganzseitige Anzeige japanischer Atomkraftgegner in der New York Times. Sie warnten, daß in den 133 je 1.380 Kilo schweren „FS-47- Containern“ dieses Plutoniumtransports genug Bombenstoff für 120 Atombomben sei, daß schon ein Gramm des Höllenstoffs Plutonium ausreiche, um Zehntausende Menschen krebskrank zu machen, und das schließlich die Halbwertszeit des Plutoniums 24.000 Jahre betrage. Mit anderen Worten: In 24.000 Jahren ist die tödliche Ladung immer noch genau halb so gefährlich wie heute. Die letzte Eiszeit liegt halb so lang zurück.

Den ganzen Herbst über konnte sich die japanische Regierung vor Demarchen und Depeschen kaum retten. Über 40 Staaten protestierten offiziell in Tokio gegen das Unternehmen, äußerten ihre Besorgnis über die Gefährlichkeit des Transports oder über die politischen Implikationen einer neuen Nuklearmacht Japan. Schließlich werde die Regierung in Tokio mit ihrer derzeitigen Atompolitik im Jahr 2020 über genausoviel waffenfähiges Plutonium verfügen wie Rußland und die USA zusammen. Japan verfüge über dreimal soviel Plutonium, wie es zur Stromerzeugung brauche, so auch der amerikanische Proliferationsexperte Paul Leventhal.

Die chilenische Staatschef Patricio Alwyn berief während eines offiziellen Japanbesuchs eine Pressekonferenz ein, um gegen den Transport zu protestieren. Südafrika sperrte seine Häfen für den Plutoniumfrachter, Argentinien, Malaysia und Indonesien stellten in unverblümter Form klar, daß sie den Frachter nicht in den eigenen Hoheitsgewässern zu sehen wünschten. Der Präsident der Inselrepublik Tauru im Pazifik, Bernard Dowiyogo, hatte den Transport zuvor ein Beispiel für das atomare Risiko genannt, daß die Großmächte den Menschen im Pazifik „ohne Rückfrage und ohne ihre Zustimmung aufbürden“.

Die internationalen Reaktionen stellen die japanische Regierung vor ein großes Problem. Die 1,5 Tonnen Plutonium auf dem Frachter sind nämlich nur die erste von über einem Dutzend geplanten Plutoniumfrachten. Japan ist vertraglich verpflichtet, 30 Tonnen Plutonium bis zum Jahr 2010 aus der Wiederaufarbeitung seines Atommülls im französischen La Hague abzuholen. Es hat dafür 4 Milliarden Dollar gezahlt. Offiziell soll das Plutonium im noch nicht fertiggestellten schnellen Brüter Monju verfeuert werden, doch die Zweifel bleiben.

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