: Die Regierung Kohl frißt ihre Kinder
Kohl will Kabinettsumbildung noch im Januar/ Günther Rexrodt neuer Wirtschaftsminister?/ FDP erwartet am Mittwoch Kinkels Kandidatur für den Parteivorsitz ■ Aus Bonn Hans-Martin Tillack
Der Sieger heißt Klaus Kinkel. Nun, nachdem mit Jürgen Möllemann sein letzter Rivale ausgezählt wurde, kann dem Außenminister keiner mehr den Weg zum FDP-Vorsitz verbauen. Ob er will oder nicht, alles rechnet damit, daß Klaus Kinkel am Mittwoch auf dem Dreikönigstreffen der Freidemokraten in Stuttgart seine Kandidatur für das Amt verkündet, das der amtierende Inhaber Otto Graf Lambsdorff noch in diesem Jahr aufgeben will.
Eigentlich muß es die FDP erschrecken, wie alternativlos Kinkel dasteht, dieser erst im April 1991 in die FDP eingetretene liberale Azubi. Freilich stehen die FDP- Headhunter mit ihren Personalnöten nicht allein. Für die ganze Regierung Kohl gilt: Verglichen mit dem Kommen und Gehen im Kabinett ist die Wartehalle des Bonner Hauptbahnhofs ein beschaulicher Ort.
Wer am Sonntag Jürgen Möllemann seinen Rücktritt vom Amt des Wirtschaftsministers erklären hörte, hatte noch die Brandrede von Christian Schwarz-Schilling im Ohr, mit der dieser im Dezember seinen Abschied aus dem Postministerium begründet hatte. Und unvergeßlich bleibt auch der Rücktritt von Hans-Dietrich Genscher im April, der unter den Freidemokraten jenes Tohuwabohu um die Nachfolge entfesselte, von dem allein Klaus Kinkel profitierte.
Der Bundeskanzler jedenfalls nahm die Mitteilung von Möllemanns Rücktritt am Sonntag so entgegen, „wie man solche Nachrichten eben entgegennimmt“ – so die Erklärung von Regierungssprecher Dieter Vogel gestern. Muß heißen: Der Kanzler nimmt die Rücktritte, wie sie fallen. Doch was bleibt noch übrig für die lange angekündigte Kabinettsumbildung, die der Kanzler zum Jahresanfang 1993 ins Werk setzen will und die nun – so Vogel – auf alle Fälle noch im Januar passieren soll?
Die Besetzung des Wirtschaftsministeriums bleibt Sache der FDP, das bekräftigte gestern auch Vogel. Damit sind Spekulationen vom Tisch, dieser Posten könnte der CDU zufallen und der Treuhandchefin Birgit Breuel verliehen werden. Statt dessen scheint sich Breuels freidemokratischer Treuhand-Kollege Günther Rexrodt zunehmend Hoffnungen machen zu können, daß die Wahl auf ihn fallen wird, wenn Vorstand und Fraktion der FDP am Freitag über die Möllemann-Nachfolge entscheiden. Schon im Frühjahr war der Rechtsliberale, obgleich in Bonn ein Nobody, in einer Kampfabstimmung in der FDP-Fraktion nur knapp (mit 34 zu 49 Stimmen) dem schließlich siegreichen Möllemann unterlegen. Als ehemaliger Berliner Finanzsenator bringt Rexrodt Regierungserfahrung mit, als ehemaliger Manager der Citibank und Treuhand-Vorständler kann er Kenntnisse aus der Praxis vorweisen.
Der ebenfalls gehandelte Wirtschaftsminister von Sachsen-Anhalt, Horst Rehberger, winkte gestern schon ab. Nur dessen brandenburgischer Amtskollege Walter Hirche ringt noch mit sich, ob er gegen Rexrodt antreten soll. Bis Mittwoch will der Minister sich entscheiden.
Kohl bleibt die Aufgabe, den Schutt wegzuräumen, den andere Rücktritte der jüngeren Vergangenheit hinterlassen haben. Schwarz-Schillings Amt ist immer noch verwaist und wird von Verkehrsminister Günther Krause (CDU) kommissarisch verwaltet. Als Nachfolger war bislang stets CSU-Landesgruppenchef Wolfgang Bötsch im Gespräch – würde er doch die koalitionspolitische Balance im Kabinett wieder herstellen, die durch den Abschied eines anderes CSU-Mannes entstünde. Landwirtschaftsminister Ignaz Kiechle ist der Bonner Ackerei müde und soll durch einen CDU-Politiker ersetzt werden, den Abgeordneten Jochen Borchert.
Wer darf noch bleiben, wer muß noch gehen in der Zeitarbeitsfirma Kohl? Der stets als Abstiegskandidat gehandelte Umweltminister Klaus Töpfer fühlt sich gestärkt, seit er auf dem CDU-Parteitag in Düsseldorf mit einem hervorragenden Ergebnis ins Parteipräsidium gewählt worden war. Freilich hält es den Umweltminister nicht um jeden Preis in der Nähe des Kanzlers. Nach wie vor liebäugelt er auch mit einem Amt in der UNO.
Forschungsminister Heinz Riesenhuber dagegen muß weiterhin um seinen Posten zittern. Warum, das weiß keiner so recht zu sagen. Der Mann mit der Fliege ist als einziger in der Ministerrunde schon ebenso lang im Amt wie der Kanzler persönlich. Da wird es, mag sich Durchhalteprofi Helmut Kohl so denken, mal Zeit für einen Wechsel: Die Regierung Kohl frißt ihre Kinder.
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