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Politisches Begräbnis, Medienspektakel

■ Plädoyer für F.C. Delius' umstrittenen Terroristen-Roman

Es ist schon ein Kreuz mit den Dichtern: Der Markt verlangt nach Romanen zur Ausländerfeindlichkeit und zum Ozonloch – da hat einer die Stirn, uns mit Terrorismus zu behelligen, obwohl selbst die RAF-Erben sich vor Monaten schon öffentlich zum einstweiligen Gewaltverzicht bekannt haben. Delius darf sich also nicht wundern, wenn ihm das deutsche Feuilleton fast unisono auf die Finger klopft.

Für Robin Detje in der Zeit beispielsweise ist klar, daß soviel „Kitsch“ und „Rhetorik“ nur die „Rache des altlinken Autors am Volk“ sein können. Reinhard Mohr ärgert sich im Freitag über „gnadenlose Kolportage“, „quälende Langeweile“, „schlechte Karikatur“ und „neudeutsches Mythengeflecht“. In der Frankfurter Allgemeinen attestiert Jürgen Jacobs dem Autor zwar „talentiertes Erzählen“ und „exzentrische Einfälle“; den Mangel an „rechtem Augenmaß“, die „groben Knalleffekte“ und die Fehler beim Realitätsbezug kann er allerdings nicht durchgehen lassen. Gab es doch in Wirklichkeit „keine Dankgefühle gegenüber denjenigen, die den Schrecken verbreitet hatten, keine Kirmesstimmung, keine innere Verbundenheit mit den Akteuren des Terrors“. In der taz schließlich sorgt sich Peter-Jürgen Boock, dieser Roman könne „das Pech haben, ein im Ansatz bemerkenswertes Buch zu sein, das zur Unzeit erscheint“.

Das Verhältnis von Kunst und Wirklichkeit, um das es den Kritikern immer wieder geht, wäre eigentlich Stoff der zehnten Klasse. Für alle, die damals gefehlt haben, in Kürze: F.C. Delius hat weder eine Geschichte der RAF geschrieben noch eine Gebrauchsanweisung fürs harte Leben in den neunziger Jahren, sondern einen Roman, der zusammen mit „Ein Held der inneren Sicherheit“ und „Mogadischu Fensterplatz“ eine Trilogie bildet, den man aber durchaus auch außerhalb dieser Reihe goutieren kann.

Wer sich den Spaß gönnen möchte, muß allerdings ein bißchen Anstrengung investieren. Denn wer sich mit der Entschlüsselung der Hauptfiguren (Nagel=Baader, Schäfer=Herold, Falcke=Meinhof usw.) begnügt, wer das geschilderte Terroristen- Staatsbegräbnis als Realität nimmt, geht seiner eigenen Phantasielosigkeit auf den Leim. Ihm entgeht, daß dies überhaupt kein Buch über Terrorismus ist (der einzige Schuß fällt hinter den Kulissen), sondern ein literarisches Spektakel, das vom Wendejahr 1977 aus ein grelles Licht auf die Gegenwart wirft. Zeitgeschichtliche Fakten liefern den Stoff für eine Groteske, in der wie in einem Brennglas deutsche Historie fokussiert wird. Zwei Ereignisse markierten damals das Ende der Nachkriegszeit: Mogadischu (mit dem ersten Sieg bewaffneter Deutscher auf ausländischem Boden nach vierzig Jahren) und Stammheim (mit dem „sanften“ Erfolg eines von Geld und Technik gespeisten perfekten Apparats). Erst die deutsche Vereinigung hat uns wieder neu mit andernorts ungelösten Nachkriegsproblemen konfrontiert und so um Jahrzehnte zurückgeworfen.

Jenen, die sich nicht schon in seiner Oberfläche verheddern, erschließt sich dieser Text als Kunststück. Mit wohlkalkulierter Dramaturgie – ausgeklügelt inszenierte Perspektivenwechsel, mathematisch präzise gegeneinander montierte Kapitel – und sprachlicher Akkuratesse hat Delius einen brillanten Gegenwartsroman geschrieben: ein Sozio-Psychogramm der westdeutschen Gesellschaft. Die Darstellung der Beziehung zwischen dem von selbstzerstörerischem Sendungsbewußtsein durchdrungenen „obersten Polizisten“ und dem – in seiner Egozentrik nicht minder selbstzerstörerischen – Topterroristen Nagel gerät zur Parabel einer Macher- und Organisatoren-Gesellschaft, in der den Massen höchstens die Konsumentenrolle für Bratwürste und Fernsehbilder bleibt („die Macht stützt sich auf Lieferscheine; wer spricht von Gewehrläufen“). Ein Begräbnis als Medienspektakel, der mediale Überwachungswahn der Polizei – das sind Metaphern einer sich krakenartig ausbreitenden Bilder- und Medienrealität, in die die Hauptkontrahenten schon längst verstrickt sind. Nagel ist „süchtig nach Bildern“, die aussteigewillige Genossin Conni nicht mehr in der Lage, zu schreiben und deshalb für ihre Bekenntnisse – in RAF-Diktion – auf den Kassettenrekorder angewiesen; Schäfer lebt nur noch zwischen Computern – wenn er liest, dann zur Informationsbeschaffung („was wird gedacht in der Gesellschaft, was ist gefragt. Früherkennung“).

Dazwischen agiert – neugierig, fremd, verfolgt – der italienische Germanistik-Professor Serrata, Mitglied einer internationalen Untersuchungskommission zum Selbstmord der Terroristin Falcke, eine Nebenfigur, hinter der nach Hitchcock-Manier die intellektuelle Physiognomie des Autors aufscheint. Er entdeckt nach dem Sieg von Mogadischu eine „neue Sprache, ein anderes, stolzeres Deutsch“ in Deutschland. In seiner politischen Arbeit insistiert er wie im Beruf auf dem Wort, auf genauem Lesen (zum Beispiel von Obduktionsprotokollen). Das wird ihm, wenn der Staatsschutz seine im Schließfach deponierten Aufzeichnungen durchschnüffelt, beinahe zum Verhängnis; trotzdem kann er sich als einziger an der Komik der Begräbnis-Inszenierung freuen.

Wenn Delius für seinen Roman „Himmelfahrt eines Staatsfeindes“ Häme und Haue bekommt wie einst Heinrich Böll, ist das wohl der Preis für die Zertrümmerung gefälliger Selbstbilder. Hannes Krauss

Friedrich Christian Delius: „Himmelfahrt eines Staatsfeindes“. Roman. Rowohlt 1992, 300 Seiten, geb., 39,80DM.

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