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Aggressives Klima

■ ...gegen Behinderte und Obdachlose

Hamburg (dpa) – „Mit dem Ruck nach rechts werden nicht nur die Ausländer, sondern auch die Behinderten auf die Hörner genommen.“ Dies sagt ein Darmstädter Polizeisprecher. „Dich haben sie wohl vergessen zu vergasen.“ Das mußte sich ein Rollstuhlfahrer anhören. Über ähnliche Erfahrungen berichten Polizeidienststellen und karitative Einrichtungen im ganzen Bundesgebiet: Das Klima sei deutlich aggressiver geworden, auch wenn Behinderte eine Welle der Gewalt, wie Ausländer sie seit Monaten erleben, nicht zu befürchten haben, hieß es bei einer dpa-Umfrage.

„Dich haben sie wohl in Dachau vergessen“, brüllten drei Skinheads einen 25jährigen Behinderten in Köln an – Passanten verhinderten einen weitergehenden Angriff. Doch häufig sind Behinderte in solchen Situationen allein: So nahm sich ein 46jähriger Rollstuhlfahrer aus Großburgwedel im Oktober das Leben, weil er sich wegen ständiger Hänseleien kaum noch auf die Straße wagte, berichtet die Hannoveraner Polizei.

Zunehmend sind auch Obdachlose Opfer von Gewalttaten, zum Beispiel in Berlin: Vor einem Jahr erlitt ein 26jähriger auf einer Toilette, wo Obdachlose schliefen, schwere Verbrennungen, als Unbekannte ihn mit Benzin übergossen und angezündeten. Im Mai 1992 wurde ein anderer auf einer Parkbank mit einem Hammer erschlagen. „Es zeigt sich, daß der Überlebenskampf da draußen härter geworden ist“, sagt Dorothea Schlotz vom „Warmen Otto“, einem Berliner Hilfsprojekt. „Es gibt auch einfach mehr Obdachlose als früher. Das sind bevorzugte Opfer von Skins.“

„Seit dem Sommer 1992 nimmt die Gewaltbereitschaft gegen Randgruppen im Hamburger Raum zu“, berichtet auch eine Sprecherin des Diakonischen Werks in der Hansestadt. Aber harte Zahlen gibt es kaum, entsprechende Statistiken fehlen. Der Präsident des Verbandes der Kriegs- und Wehrdienstopfer, Behinderten und Sozialrentner (VdK), Walter Hirrlinger, weiß aber: Behinderte werden zunehmend Opfer rechtsradikaler Gewalttäter. Angesichts solcher Meldungen wachse vor allem die Angst unter den Behinderten, sagt ein Sprecher vom Caritas-Verband des Bistums Essen. In Köln bereitet der „Club 68“, ein Verein für Behinderte und Nicht-Behinderte, eine Lichterkette auf den Rheinbrücken vor.

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