: „Das Chaos war die schönste Zeit“
■ Der Unabhängige Frauenverband, der den Aufbruch der Ost-Frauen symbolisierte, hat kaum noch Bedeutung
„Hexen des 20.Jahrhunderts, steigt herab!“ Diese Beschwörung rief vor gut drei Jahren einen Sturm der Begeisterung hervor, als am 3.Dezember 1989 in der Ostberliner Volksbühne über 1.000 Frauen zu einer „fröhlichen Revolution mit politischer Konsequenz“ bliesen. Die Bewegung, die sie in jenem Wendeherbst auf die Beine brachten, hatte bald auch über die Grenzen der DDR hinaus einen Namen: UFV – Unabhängiger Frauenverband.
Doch angesichts des mittlerweile festgefügten Bildes von den „Verliererinnen der Wende“ fällt die Erinnerung an diesen Aufbruch heute schwer. Wo sind die frechen Frauen abgeblieben, die die ganz und gar nicht gelöste Frauenfrage in die öffentliche Debatte warfen, die sich ihren Platz an Modrows Rundem Tisch erstritten, die Talk-Shows in Schwung brachten, Wahlkämpfe führten, Gleichstellungsbeauftragte in allen Kommunen über 10.000 EinwohnerInnen durchboxten und eine Ministerin in Modrows Übergangskabinett schickten? Es war eine kurze Zeit, in der die UFV- Frauen Geschichte machten – politische Subjekte im besten feministischen Sinne.
Ina Merkel war eine in der ersten Reihe. Bekannt wurde sie als Autorin des Manifests „Ohne Frauen ist kein Staat zu machen“, das dem UFV ein theoretisches Fundament gab. „Ich bin von den Medien in den Vordergrund gepuscht worden“, sagt die 35jährige Kulturwissenschaftlerin heute. Der Zufall nahm seinen Lauf: Ina Merkel wurde eine der ersten Sprecherinnen des UFV, saß am zentralen Runden Tisch und später in der Geheimsitzung, auf der Modrow seine Übergangsregierung zusammenstellte. Wenn sie heute über diese Zeit redet, dann mit zwiespältigen Gefühlen. Lebhaft erinnert sie sich an das „hohe soziale Prestige“. Wenn die Frauen im Gemüseladen sie morgens ansprachen: „Wir haben Sie gestern im Fernsehen gesehen, das war super, wie Sie denen Zunder gegeben haben“, so genoß sie das. Am runden Tisch habe sie sich „unglaublich gleichberechtigt“ gefühlt. Den Respekt vor „Polithierarchien“ verlor sie schnell. Weitere politische Funktionen haben Ina Merkel seither nicht mehr gereizt, auch weil sie sich zu gut an die zeitliche Überforderung erinnert und daran, wie ihre beiden Kinder unter der extremen Vernachlässigung gelitten haben. Dem UFV kehrte sie 1990 aus Enttäuschung über die Entwicklung des Verbandes den Rücken. Die ursprüngliche Idee von einem breiten, basisdemokratischen und eher losen Bündnis von Frauen verschiedener Richtungen ließ sich nicht verwirklichen. Statt dessen habe sich eine „radikale grün-feministische PDS- freundliche Minderheit“ im UFV durchgesetzt, mit der sie politisch und persönlich nicht zurecht kam.
Ina Merkel ist nach wie vor Assistentin am kulturwissenschaftlichen Institut der Humboldt-Uni, erforscht dort mit StudentInnen die Frauen der DDR-Aufbaugeneration. Der Frauenfrage steht sie heute „ganz ambivalent“ gegenüber. Zwar sei der Kampf um Gleichstellung und Gleichberechtigung unumgänglich, doch viel zu sehr am „männlichen Maß“ orientiert und verlange von Frauen „hochgradige Assimilation“. Als Opfer der Wende fühlt sich das langjährige SED-Mitglied nicht. Sie habe sich befreit vom Idealismus und „von der Vorstellung, ich müßte mich für meine Gesellschaft zu Tode arbeiten“.
Den „Satz von den Verliererinnen der Einheit“ kann auch Sibyll Klotz nicht mehr hören. Seit zwei Jahren sitzt die 31jährige Philosophin für den UFV im Berliner Abgeordnetenhaus. Den „Aufbruch der Frauen“ 1989 erlebte sie aus „bewundernder Distanz“ zu den Frauen auf der Bühne, traute sich nicht, den Mund aufzumachen. Schon deswegen nicht, weil sie sich nach sechsjähriger SED-Zugehörigkeit nicht gleich in die erste Reihe stellen wollte – „aus politischer Hygiene“. Diese Scheu hat sie heute verloren. Tapfer hält sie die frauenpolitische Fahne hoch, auch wenn ihr dabei sämtliche Illusionen über die Durchsetzbarkeit feministischer Forderungen via Parlament vergangen sind.
Auf eine weitere Wahlperiode hat sie keine Lust mehr; sie hängt nicht an diesem Repräsentationsjob, der ihr viel zuviel Zeit, auch für ihre achtjährige Tochter, stiehlt. „Ich bin eine von denen, denen es heute entschieden besser geht“, sagt sie, aber das sei ein „großes Privileg“. An der Tatsache, daß inzwischen fast 70 Prozent der Erwerbslosen in Ostdeutschland Frauen sind, läßt sich nicht herumdeuten. Alle Frauen unterschiedslos zu Verliererinnen zu stempeln, hält sie jedoch für politisch falsch, „weil damit ein passiver objekthafter Zustand festgeschrieben wird, der der Wirklichkeit nicht entspricht“.
Im Namen des UFV sitzen heute fünf „Politfrauen“ in Bundestag und Landtagen, mehrere Dutzend in Stadträten und auf Gleichstellungsstellen. Mit den „Projektefrauen“ verbindet sie kaum mehr etwas. In den Projekten passiere politisch zu wenig, kritisiert Sibyll Klotz. Selbst wenn „existentielle Interessen“ berührt würden, wie etwa die ABM-Stellen durch die Novelle des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG), bliebe der Widerstand minimal.
Ein überparteilicher Dachverband, der Frauen aus allen politischen Richtungen vereint, hat sich auch für Sibyll Klotz erledigt, „da Parteiloyalität auch bei Frauen vor Verbandsloyalität geht“. Dennoch hängt sie am UFV. Es gäbe da eine Art des Miteinanders, „die findest du nirgendwo sonst“.
Wenn Marinka Körzendörfer Bilanz zieht, tut sie das ohne sichtbare Resignation. Seit zwei Jahren macht die 39jährige Journalistin die Öffentlichkeitsarbeit im zentralen UFV-Büro in Berlin. Sie ist eine der „Bewegungsmütter“, gehörte zum Kreis der „Gethsemanelesben“, die den Frauenverband mitinitiierten. Natürlich schmerzt auch sie der Verlust von Einfluß und Öffentlichkeit, der Schwund der Aktiven. Die reduzierten Kräfte konzentriert der UFV daher auf einige Schwerpunkte wie den Paragraphen 218, Arbeitsmarkt und Dequalifizierung, Verfassungsdiskussion oder rassistische und sexistische Gewalt. Aus den Utopistinnen wurden Realistinnen, und Marinka Körzendörfer hat inzwischen akzeptiert, daß die Zeit, „als jede Ordnung fehlte und alles möglich schien“, sich nicht wiederholen läßt.
Ihr täglicher Weg zur Arbeit führt an einem Graffiti vorbei: „Das Chaos war die schönste Zeit, das Chaos ist aufgebraucht.“ Ulrike Helwerth
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