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Ein ernstes Wort mit Milošević

■ Der serbische Präsident soll auf Wunsch des UNO-Vermittlers Vance auf Serbenführer Karadžić „einwirken“/ Hungertote in Sarajevo

Genf (taz) – Der Präsident Bosnien-Herzegowinas, Alija Izetbegović, rechnet „nicht mehr“ mit einer Verhandlungslösung bei der Genfer Jugoslawienkonferenz, die am Sonntag wieder aufgenommen wird. In einem Interview mit der taz (S. 10) erklärte er, er erwarte nicht, daß der bosnische Serbenführer Radovan Karadžić seine Forderung nach einem Separatstaat aufgebe und das von den beiden Konferenzvorsitzenden Cyrus Vance und David Owen vorgelegte dreiteilige Abkommen (Verfassungsentwurf, Waffenstillstandsvereinbarung und Karte für die Aufteilung in 10 Provinzen) unterzeichne. Er fürchte, der Krieg werde „noch lange dauern“.

Statt, wie ursprünglich angekündigt, zu Konsultationen mit seiner Regierung und Militärs in Sarajevo flog Izetbegović am Mittwoch morgen in die USA, um in Gesprächen mit Vertretern der Bush- und der künftigen Clinton- Administration auf militärische Maßnahmen gegen die Serben zu drängen. Zuvor telefonierte er am Dienstag abend in Genf mit Bundeskanzler Kohl, der ihm Unterstützung für die Forderung nach Rückzug und UNO-Kontrolle der schweren Waffen aller drei bosnischen Kriegsparteien zugesagt habe. Auch dieses hatte Karadžić am Montag abgelehnt.

Cyrus Vance bedrängte gestern in Belgrad bei einer „sehr ernsten“ Unterredung den serbischen Präsidenten Slobodan Milošević, Karadžić noch umzustimmen. Zum Auftakt der Begegnung mit Vance gestern nachmittag erklärte Milošević, er werde „jedem Friedensplan“ für Bosnien zustimmen. Karadžić, der zuvor mit Milošević konferiert hatte, ließ verlauten, der von ihm gefordete Separatstaat soll lediglich einen Status wie etwa „Bayern in Deutschland oder Kansas in den USA“ haben.

Unter dem Eindruck der zunehmend kritischen Rezeption in weiten Teilen der öffentlichen Meinung bemühte sich der Sprecher von Vance und Owen, Eckard, in Genf unterdessen, die von den beiden Konferenzvorsitzenden vorgelegte Karte zur Aufteilung Bosniens in zehn Provinzen in einem besseren Licht erscheinen zu lassen. Die Bezeichnung der Provinzen als serbisch, kroatisch und muslimisch sei nicht so eindeutig beabsichtigt, wie dies bei Vorlage der Karte am letzten Samstag offensichtlich erschienen sei. Daher seien auch die territorialen Gewinne der Serben bzw. die Verluste der Muslime nicht so groß, wie dies bisher in vielen Medien berichtet worden sei.

Es sei zu berücksichtigen, daß die Serben schon immer auf dem „meist kargen Lande“ – und damit weiter gestreut –, die Muslime dagegen „mehr in den Städten und industriellen Zentren“ gelebt hätten. Die Journalisten sollten daher „aufhören, die Muslime zu bejammern, erklärte Eckard wörtlich.

Nach Angaben des Rundfunks in Sarajevo fordern Hunger und Kälte in der bosnischen Hauptstadt inzwischen mehr Todesopfer als die direkten Kampfhandlungen. Allein in einem Altersheim seien zehn Menschen erfroren oder verhungert.

Der französische Außenminister Roland Dumas berichtete auf einer Kabinettssitzung, die drei Kriegsparteien in Bosnien hätten sich ihm gegenüber bereit erklärt, Sarajevo zur „offenen Stadt“ zu erklären, den Belagerungsring aufzuheben und die Streitkräfte zurückzuziehen. Wann und unter welchen Bedingungen dies jedoch geschehen solle – darüber gab es keine Angaben. Andreas Zumach

„Kein fremder Soldat nach Bosnien“

Bonn (taz) – Mit scharfen Vorwürfen an die internationale Staatengemeinschaft reagierten in Bonn gestern der bosnische Außenminister Haris Silajdzić sowie der Oberkommandierende der bosnischen Armee, Sefer Halilović auf die bisher ergebnislos verlaufene Jugoslawienkonferenz in Genf. Nach Ansicht der Bosniaken habe die UNO ihre Möglichkeiten nicht genutzt, die faschistische serbische Aggression zu beenden. Vielmehr bedeute die Genfer „Erpressung“, so der Außenminister, „eine Legalisierung der serbischen Aggression“. In Genf versuche man jetzt den brutalen Angriff auf Bosnien lediglich als „ethnischen Konflikt“ darzustellen, um das Land letztlich „auf alte Kolonialweise in ethnische Ghettos zu unterteilen.“ Bosnien besitze aber als einer der ältesten Staaten Europas mit jahrhundertealten Grenzen ebenso das Recht auf staatliche Integrität und Souveränität wie andere Staaten, erklärte der Minister. Sein Land dürfe nicht „als Stammesstaat“ angesehen werden.

Für den Fall des Scheiterns der Genfer Verhandlungen forderte der bosnische Militärchef Halilović eine „begrenzte militärische Intervention“. Dabei müßten aus der Ferne und aus der Luft unter anderem Flughäfen sowie serbische Artellerieeinheiten mit Raketen vernichtet werden. Um dies zu realisieren, brauche auch „kein einziger fremder Soldat nach Bosnien-Herzegowina zu kommen“, versicherte der Kommandierende. Zugleich wies er jedoch darauf hin, daß sich auf serbischer Seite russische Generäle an den militärischen Planungen beteiligen würden.

Nach Einschätzung der Delegation seien es bisher vor allem England und Frankreich gewesen, die eine solche notwendige militärische Hilfe „mit vorgeschobenen Entschuldigungen“ verhindert hätten. England und Frankreich hatten stets auf ihre in Bosnien stationierten Truppen hingewiesen. Hasso Suliak

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