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Hase und Igel

■ „Igel für Deutschland“ – Die halben Memoiren des Volker Schröder

Eigentlich ist es nicht verwunderlich, daß am Anfang des Buchs so viel von Deutschland die Rede ist, von diesem Deutschland, das seinen Bruder auf dem Gewissen hat, der im Zweiten Weltkrieg umkam. Volker Schröder, Querdenker, Marathonläufer, Buchhalter, Bürstenbinder und Aktionist der grün-alternativen Bewegung in Berlin, hat so manchesmal mit seiner Partei wegen deren Haltung oder Nicht-Haltung zur Frage der beiden deutschen Staaten und deren Vereinigung über Kreuz gelegen. Wie eine Reihe anderer in der Igel-Partei hat er nie einsehen wollen und können, daß die Geschichte bei zwei deutschen Staaten zu Ende ist. Den rechten Rattenfängern wollte er dieses Deutschland nicht überlassen. Recht hatte er!

Nun hat Schröder nach 50 Lebensjahren wohl Zwischenbilanz gezogen. In seinem Buch „Igel für Deutschland“ plaudert Schröder von Großvater, Vater und Mutter, von Massenorganisationen, maoistischen Parteichen und vor allem von seiner Zeit als Oberbuchhalter der jungen Partei, die zuerst keine sein wollte: der Alternativen Liste für Demokratie und Umweltschutz. Manchmal etwas holprig und sprunghaft läuft Volker Schröder mit seinem trockenen Hamburger Humor immer dann zu Hochform auf, wenn es um die ideologischen Wirrungen der frühen Siebziger Jahre geht, als alle Marx lasen (außer Schröder) und die ewigen Theoriediskussionen um den richtigen Weg zu den Volksmassen tobten.

Schröders Buch gibt einen Einblick in die politischen Bewegungen der Sechziger und Siebziger im eingemauerten West-Berlin, wo manche Sumpfblüte sproß. „Igel für Deutschland“ zeigt aber gleichzeitig auch die Psyche des Einzelkämpfers, der immer auf der Suche war nach der Gruppe und Gemeinschaft zur Verwirklichung hehrer Ideale und großer Ziele. Während andere theoretisierten, zog Schröder durch die Kneipen und verkaufte seine Vorstellungen von Gesellschaft in einem selbstverlegten Band „Volksrepublik Deutschland“ (nicht „Volker Republik“, wie sich ein Bekannter treffend, aber dann doch falsch zu erinnern meinte).

Schröder ist ein Original, für das jede politische Organisation oder Gruppe dankbar sein müßte: engagiertes Arbeitstier, ausdauernd und zuverlässig, dazu auch noch mit einer Neigung zu unkonventionellen Ideen und mit einer fast beängstigenden Disziplin. Schon deswegen ist er eine Ausnahmeerscheinung in der eher zum Lust- und Frustprinzip neigenden Alternativen Liste.

Sein Buch drückt teilweise Bitterkeit und Resignation aus, nichtsdestoweniger äußert der Autor berechtigte Kritik an politischen Freunden; so wenn er über seine Friedensfreunde meint: „Der gemeine westdeutsche Linke hatte in der Regel ein abgeschlossenes Hochschulstudium und war meist im öffentlichen Dienst beschäftigt. Viele linke Soziologen, Psychologen oder Politologen waren auf Professoren-Stellen gelandet und ermahnten aus dem Elfenbeinturm der Wissenschaft die Welt zum Frieden.“

Für die Deutschlandpolitik der AL und der Grünen hat er sich regelrecht geschämt. „Zweistaatlichkeitsfetischismus“ nannte Schröder das Festhalten an der Trennung der beiden deutschen Staaten noch, als die DDR selbst nicht mehr an ihre Weiterexistenz glaubte. Neben der Tatsache, daß die AL unter seiner Leitung die höchste Zahl von Lastschrifteinzugsverfahren unter allen Berliner Parteien hatte, war Schröder wohl am meisten stolz auf die „Aktion 18. März“.

Seit 1979 hatte diese Gruppe, die Schröder zusammengehalten hat, sich entgegen allen Zeitströmungen für einen gemeinsamen Nationalfeiertag in beiden deutschen Staaten eingesetzt. Der 18. März war der Tag, an dem die Revolutionäre 1848 in Berlin das preußische Militär besiegten; ein Sieg der Straße, ein Sieg des revolutionären Geistes. Im Westen wie im Osten argwöhnisch beäugt, hat diese Gruppe es Anfang 1990, zu Zeiten der gewendeten DDR, geschafft, daß bei den Diskussionen über die Abschaffung des 17. Juni als Feiertag auch über den revolutionären 18. März als Feiertag des neuen geeinten Deutschland diskutiert wurde. Immerhin. Letztlich war die Entscheidung für den 3.Oktober dann doch eine der vielen Niederlagen des Einzelkämpfers Schröder, der immer noch davon träumt, irgendwann noch etwas ganz Großes zu tun.

Ein liebenswertes Buch, das keine große Literatur ist, aber trotzdem eine etwas bessere Aufmachung verdient hätte. Es bleibt der Eindruck von Resignation eines Mannes, der trotzdem nicht aufgehört hat zu träumen. Und das ist gut so, denn die Geschichte ist heute nicht zu Ende. Vielleicht wird er ja doch noch „Analbürstenkaiser von ganz Deutschland“. Bürstenmachen ist jedenfalls jetzt das Spielbein des Igels für Deutschland. Wir werden es in den Memoiren, Teil 2, des Volker Schröder später nachlesen können. Vielleicht dann wieder im Selbstverlag? Jürgen Karwelat

Volker Schröder, „Igel für Deutschland“, Pinkuin Verlag, Berlin 1992, 131 Seiten, 14,80 DM.

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