: Ein stiller Fürst der heißen Nächte
■ Chico ist tot. Nachruf auf eine Bremerhavener Jazz-Legende / „Chicos Place“ bis nach New York und Soho bekannt
Es sollte ein letztes Wiedersehen werden. „Komm doch noch einmal vorbei, er freut sich so über Besuch,“ bat seine Frau. Aber der Krankenbesuch wurde aufgeschoben, immer wieder. Nun ist es zu spät. Chico ist tot. „Nach langer, schwerer Krankheit,“ steht in der Todesanzeige, und es bleibt ein letzter, trauriger Gruß.
Daß Chico, der stille, vergessene Szene-Fürst, am gleichen Tag starb wie Dizzy Gillespie, ist die letzte große Ehre und vielleicht die einzige, die ihm widerfahren konnte. In seiner Bar „Chicos Place“ in der Rickmersstraße dokumentierte Dizzy in den 60er Jahren seinen Besuch mit einem nicht ganz jugendfreien Spruch auf der Wand.
Chico war ein kleiner freundlicher Mann aus Nigeria. Dort wurde er 1924 als Esuquo Eyo geboren. Aber man kannte ihn nur als Chico. In den 50er Jahren war er der Bongo-König aller Tingeltangels in Europa. Mit den „Drei Rulandas“, den „Zwei Fricos“ oder den „Zwei Ottorinos“ wirbelte er über die Bühnen der Nachkriegszeit. Mit Rosita Serrano und Peter Alexander drehte er die ersten Filme für das deutsche Fernsehn, etwa „Dalmatinische Hochzeit“. 1958 blieb er in Bremerhaven hängen und eröffnete das Lokal „Chicos Place“. Es wurde eine Legende des Jazz in Norddeutschland und war die einzige deutsche Kneipe, die man auch in New York und Soho kannte. Die Erinnerung an Jam-Sessions, zu denen sich hier die Creme des Jazz spontan und oft zufällig einfand, verklärt heute noch den Blick der Wissenden. Harald Eckstein und Ed Kröger, die Bremer Jazzer, wissen davon zu erzählen.
Die US-Schiffe, die in den Häfen Bremerhavens lagen, hatten damals noch eigene Bands an Bord. Die Kapelle der „United States“ etwa bestand aus exquisiten Jazzern. Und die standen schon am frühen Abend mit ihren Instrumenten vor der Tür von „Chicos Place“. Dazu kamen Musiker von der 61st Army Band und junge Talente aus Hamburg, Bremen und Hannover.
„Die Leute kanntes sich nicht, aber sie spielten sofort als Quartett, manchmal bis um acht Uhr früh,“ erinnerte sich Chico. „Es waren die heißesten Nächte, die Bremerhaven je erlebt hat. Wir waren besessen vom Glauben an die Musik, und dieser Glaube brachte die Menschen über alle Gegensätze zusammmen.“
Als die Disko-Welle kam, ging der Jazz, und aus „Chicos Place“ wurde eine zwar noch immer verräucherte und von heißer Musik durchdröhnte, aber nicht mehr wunderbare Kneipe.
Auto ohne Fahrer? Das kann nur Chico sein!
Chico stand im dunkelblauen Anzug mit rosa Krawatte vor der Tür und grüßte höflich. Nach dem ersten Infarkt verkaufte er den Laden und nahm seine Drinks nebenan in der „Bavaria Stube“.
Ihm blieb ein drei Pfund schweres Album mit Fotos, Programmzetteln und Briefen aus der alten Zeit. Die Pennäler, die für einen Jim Beam bei ihm die Schule geschwänzt hatten, gingen inzwischen lieber Scampis essen. Einmal noch erinnerte sich die örtliche Lokalredaktion an den Mann. Aus „Chicos Place“ wurde ein bunter Knallschuppen.
„Auto ohne Fahrer? Das kann nur Chico sein.“ Eine Bremerhavener Frotzelei: Chico hatte eine Vorliebe für große Autos (sein Opel Kapitän war Legende), konnte aber kaum über das Steuer sehen. Chico war ein Stück der Seele dessen, was Bremerhaven einmal war. Er war leise, freundlich, lachte gern und steckte voller Anekdoten.
Manchmal, so erzählt seine Frau, holte er noch einmal die Scheiben der Jazz-Größen hervor und hörte sie ganz alleine in der Wohnstube. Chicos Traum war es, einmal mit Thelenious Monk und Dizzy Gillespie eine Session zu spielen. Diesem Konzert steht jetzt nichts mehr im Wege. Lutz G.Wetzel
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