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Mit Gott gegen die Feinde der Ukraine

Ukrainische Nationalisten bauen mit dem Segen der Orthodoxen und der Unterstützung der Armee eine paramilitärische Freiwilligentruppe auf/ Ihr Ziel ist eine Großukraine  ■ Aus Lwow Klaus Bachmann

Slawko Kowtun ist nicht älter als 20 Jahre. Die blonden Haare hat er militärisch kurz geschnitten. So sitzt er in einer Etagenwohnung am Rande der Altstadt von Lwow, umgeben von Schlagstöcken, Militärjacken, Propagandamaterial. Die Wände sind behängt mit Instruktionsplakaten der ukrainischen Armee, auf denen detailliert beschrieben wird, wie man ein Maschinengewehr bedient oder einen Karabiner zerlegt. Dazwischen hängen Karten der Ukraine, auf denen diese um einiges größer ist, als es der aktuellen Grenzziehung entspricht.

Slawko Kowtun ist Mitglied der „Ukrainischen Nationalversammlung“ (UNA), einer Koalition mehrerer extrem nationalistischer Gruppierungen, und Mitglied der UNSO, der „Ukrainischen Nationalen Selbstverteidigung“, einer Sturmtruppe, die sich die Nationalisten leisten, „so etwa nach dem Vorbild der SA“, erklärt Slawko. UNSO und UNA zusammen hätten etwa 15.000 Mitglieder in der ganzen Ukraine. Damit wären sie nach den Ex-Kommunisten praktisch die zweitgrößte Gruppierung. Abgeordnete haben sie allerdings keine, „wir haben die Wahlen boykottiert.“

Auch jetzt agitieren die Nationalisten für die Parlamentsauflösung – zusammen mit allen anderen Parteien, mit Ausnahme der Ex-Kommunisten, die in Kiew praktisch die Mehrheit haben. Doch im Gegensatz zu den demokratischen Parteien beherrschen die UNSO-Leute die Straßen. In Lwow mit Verkaufsständen voller nationalistischer Broschüren, Plakate und Flugblätter, in Kiew, wo sie auf dem Unabhängigkeitsplatz Unterschriften sammeln.

Obwohl die UNSO formell gar nicht registriert ist, wird der Aufbau dieser paramilitärischen Truppe auch von den Behörden offenbar wohlwollend toleriert. Finanzielle Unterstützung erhielten sie bisher jedoch nicht, behaupten UNSO-Aktivisten, und Waffen auch nicht. Doch in Moldova, wo die UNSO-Leute für den Anschluß der sogenannten „Dnjestr- Republik“ an die Ukraine kämpfen, waren die Waffen plötzlich da. „Uns ist es immerhin zu verdanken“, so ein Mitglied der „Führung“, „daß 300 ukrainische Offiziere, die im Ausland gedient haben, in die ukrainische Armee zurückgekommen sind.“

Das Verhältnis zur Armee scheint ausgezeichnet zu sein. Durch Kontakte mit Offizieren ist der UNSO möglich, auch Truppenübungsplätze für Trainingszwecke zu nutzen. Wie das aussieht, zeigt Slawko stolz vor: Erinnerungsfotos vom letzten Training, auf denen er im Schützengraben zu sehen ist. Griffbereit hat er auch einen Holzknüppel mit Lederschlaufe: „Damit hauen wir drauf“, verkündet er. Und jetzt müsse er zum Training.

In der Gymnastikhalle einer Schule in Lwow werden Kampfsportarten trainiert. Daß von den Offizieren, die UNSO-Aktivisten im Handgranatenwerfen, Nahkampf oder im Bedienen von Schußwaffen ausbilden, die meisten noch vor kurzem Kommunisten waren, stört den Antikommunisten Slawko nicht: „Wichtig ist, daß sie Ukrainer sind. Mir ist ein ukrainischer Kommunist lieber als ein russischer Demokrat.“

Ein wirklich politisches Programm haben die Nationalisten nicht, nur kurzfristige Ziele, wie etwa den Austritt der Ukraine aus der GUS. „Unser Ziel ist es, an die Macht zu kommen“, gibt Slawko zu. Für die Zeit danach versprechen die UNA-Leute ihren Landsleuten „Stärke, Ordnung und Wohlstand“, wie sie das erreichen wollen, bleibt offen. Doch darauf kommt es gar nicht so sehr an. Schon seit geraumer Zeit sind die Nationalisten in der Ukraine zwar zerstritten, aber im Aufwind. Gerade hat sich von der Volksbewegung Ruch eine radikale Gruppe unter dem Exil-Politiker Moroz abgespalten, gleiches geschah bei der Republikanischen Partei, deren Nationalisten nun im Parlament die UNA vertreten.

Ihren Kampf gegen Rußland, Rumänien, gegen die „Amerikanisierung der Ukraine“ und für eine Großukraine mit Moldova, der Krim und dem südöstlichen Teil von Polen führen die Ultranationalisten mit dem Segen der Kirche. UNA und UNSO erfreuen sich der Unterstützung des selbsternannten Patriarchen Filaret, dem Oberhaupt der „Ukrainischen Autokephalen Orthodoxen Kirche“, die sich durch seine Intrigen gespalten hat. Seitdem ziehen bei Filaret- Gottesdiensten UNSO-Kämpfer vor den Kirchen auf, um die Gläubigen vor den Attacken ihrer Gegner zu schützen, und Filaret erteilt dafür dem UNSO-Kampf für eine Großukraine seinen Segen.

Die Zeitungen der Nationalisten, die „Stimme des Volkes“ und „Der Nationalist“ liegen in Lwow und Kiew an fast jedem Kiosk aus, für die Stände der uniformierten Aktivisten interessieren sich besonders Soldaten, die ganz junge und die ganze alte Generation. In ihren Flugblättern sprechen sie nicht nur die Tradition der ukrainischen Partisanen aus der Zeit nach 1942 an, als diese erst mit, dann gegen die deutsche Wehrmacht versuchten, einen ukrainischen Staat zu erkämpfen. Thema sind auch die Minderwertigkeitskomplexe einer großen Nation, die trotz Atomwaffenarsenal wirtschaftlich auf den Hund gekommen ist. „Ukrainer!“, verkünden UNA- Flugblätter: „Wenn Ihr Amerika nicht nur durch die Fenster eines Ausflugsbusses, sondern durch die Luke eines Panzers sehen wollt, dann tretet in die UNSO ein.“

Später einmal möchte die UNSO eine richtige Armee werden und die russisch-ukrainische Grenze sichern, an der sie schon heute ab und zu patrouilliert. Aber auch „offensive Aufgaben, außerhalb der ukrainischen Grenzen“ werden nicht ausgeschlossen.

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