: „EG-Ausländer sollen Senat mitwählen“
■ Axel Adamietz, Jurist und FDP-Abgeordneter, zum Bremer Verfassungsdilemma
taz: Bremen will immer so weltoffen sein, ist aber unter allen westdeutschen Kommunen und Ländern am schlechtesten vorbereitet auf das kommunale Wahlrecht für EG-Ausländer, das im Mastrichter Vertrag vereinbart ist. Schläft die bremische Politik?
Axel Adamietz: Verfassungsjurist und FDP-Bürgerschaftsabgeordneter: Bremen ist deswegen in Anführungsstrichen „am schlechtesten vorbereitet“, weil Bremen eine Verfassungsstruktur hat, die sehr positiv zu bewerten ist: Die enge Verklammerung von Stadt und Land, bei besonderer Selbständigkeit Bremerhavens, und damit einen äußerst geringen Aufwand an Kosten für politische Führung und ein Potentiel an Bürgernähe, wie es das in Flächenstaaten nicht gibt, sogar in anderen Stadtstaaten nicht. Wenn jetzt das Ausländerwahlrecht in Bremen auf einer angetrennten kommunalen Ebene eingeführt werden soll, müßte man die demokratischen Traditionen der Verfassung über Bord werfen. Damit tun wir uns schwer, das ist klar. Ich bin auch der Meinung: das ist nicht notwendig.
Sind Türken mitgemeint bei diesem Ausländerwahlrecht?
Nein.
Es wäre doch eine demokratische Qualität, wenn man sagen könnte: Bremen ist vorn beim EG-Ausländerwahlrecht.
Das würden wir gerne tun. Hier gibt es so viele Italiener, Niederländern, Griechen, die hier langjährig wohnen — ich hätte keine Probleme damit, daß die unsere Bürgerschaft mitwählen, also auch den Landtag.
Wer verhinder das?
Das Grundgesetz, genauer: Die bisherige Auslegung des Grundgesetzes. Bayern und auch die Bundesregierung haben deutlich gemacht: Eine Regelung, selbst im Sinne einer „Bremer Klausel“ in der Verfassung, daß EG-Ausländer hier auch zum Landtag wählen können, würde nicht hingenommen werden.
Betrifft das Hamburg und Berlin genauso?
Ja. Ich sehe aber nicht, daß Hamburg dieses Problembewußtsein entwickelt hat wie Bremen. Denn die Bezirksversammlungen in Hamburg erfüllen nicht das, was im Maastrichter Vertrag als Kommunales Wahlrecht eingeführt wird.
Eine Auflösung der 17 Stadtteil-Beiräte in vier starke bremische Bezirks-Ämter, wie sie hier vom Bauressort aus anderen Interessen vertreten werden, würden das rechtliche Problem also nicht lösen?
Es wäre keine politische Lösung, die wir wünschen sollten. Es würde uns eine Verfielfachung von Bürokratie bringen, Konflikte zwischen Einzelinteressen und Gesamtinteressen würden bleiben. Für diese Konflikte muß es Regelungen geben, so oder so.
Rechtlich wären die Bezirksämter aber auch keine Lösung: Das kommunale Wahlrecht muß die EG- Ausländer befähigen, auch die Exekutivspitze, also den kommunalen Oberbürgermeister, zu wählen.
Wie kommt Bremen aus dem Dilemma heraus?
In einer Europäischen Union wird man nicht bei einem kommunalen Wahlrecht stehen bleiben können. Im europäischen Maßstab sind alle Bundesländer kleine Regionen, in denen EG-Bürger, wenn sie dort wohnen, Wahlrecht haben müßten. Das ist doch demokratische Partizipation. Ich bin überzeugt: Der Verfassungszug läuft in diese Richtung. Und ich möchte nicht, daß wir in Bremen historisch gewachsene, demokratisch gut ausgewiesene Strukturen aufgeben für eine kurze Übergangsphase. Die Kosten einer von der Stadt abgetrennten zweiten Ebene, also Landesebene der politischen Führung, würden für viele in Baden- Württemberg oder Hessen die Frage der Selbständigkeit Bremens auf die Tagesordnung setzen.
Deswegen sage ich: Wir müssen die Nerven behalten und dürfen jetzt nicht die Flinte ins Korn werfen, gewissermaßen aus Angst vor dem Tod Selbstmord begehen. Wir müssen eine Lösung auf EG- Ebene erreichen.
Warum gibt es nicht zehn Politiker und Juristen aus Bremen, die durch die Lande tingeln und dafür werben, daß Bremen einen Schritt schneller auf dem Weg zu Europa gehen kann?
Es gibt einige wenige, ich zähle mich dazu. Aber das Tingeln ist schwierig. Int.: K.W.
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