Zweisamkeit – Illusion der Unersetzlichkeit?

■ Diskussion über die Existenz als Single: Ideale Lebensform oder idealisierte Not/ Vorwurf an Single-Autorin Eva Jaeggi, sie verleite junge Menschen zur Bindungslosigkeit

Berlin. Die Leiterin einer Gruppe von Alleinstehenden hat das neue Buch der Psychologin Eva Jaeggi zwar „verschlungen“, gefallen aber hat es ihr nicht, sagt sie in der Diskussion, die sich an den Vortrag der Buchautorin in der Urania anschließt. Die Autorin habe sich für ihre Untersuchung über Alleinlebende eine Elite herausgegriffen, der es materiell gutgehe und die auf Grund des mittleren Alters nicht zum „Single auf lebenslänglich“ verurteilt sei. Freundschaften ohne festen Partner drohten oberflächlich zu sein, Jaeggi aber würde die Rolle des Alleinstehenden glorifizieren. Die Leiterin der Alleinstehenden- Gruppe sehe in dem Buch „eine Gefahr für junge Menschen“, weil sie durch die Lektüre verleitet würden, keine festen Bindungen einzugehen.

Was hat Jaeggi getan? Die 58jährige Psychologin, an der Technischen Universität beschäftigt, hat 40 Singles im Alter zwischen 30 und 50 Jahren, die die Wissenschaftlerin zur guten Mittelschicht zählt, zu ihrer Lebensform befragt. Und was ist das Ergebnis? Zum einen die Bilanz, daß die moderne Lebensform zwar ihre eigenen Tücken und Macken habe, aber nicht mehr Probleme aufwerfe als die konservative Ehe oder Zweierbeziehung. Und zum anderen das Buch mit dem Titel „Ich sag' mir selber ,Guten Morgen‘!“. Die Autorin bekräftigte, daß das Singleleben eine von vielen Lebensformen darstelle, weil diese Art des Lebens bestimmten Bedürfnissen gerecht werde. Doch bei einem Teil der mehreren hundert Gäste, die am vergangenen Donnerstag abend in die Urania gekommen waren, stand offenbar die Sehnsucht nach Zweisamkeit im Vordergrund. Daß auch diese Lebensweise ihre Schattenseiten hat, wollte offensichtlich nicht nur die Leiterin der Alleinstehenden- Gruppe nicht wahrhaben.

Wer über das Singledasein redet, dürfe die Schwierigkeiten von Zweierbeziehungen aber nicht übersehen. Die von Jaeggi Befragten waren schließlich freiwillig oder unfreiwillig alleinstehend geworden, weil das Zusammenleben nicht mehr oder nicht mehr genügend befriedigen konnte. So beschrieben die Befragten durchweg das bewußtere Erleben des Alltags als angenehm. In der Partnerschaft habe man häufig seine eigenen Bedürfnisse nicht erkannt. Erst nach der Trennung hat beispielsweise eine 40jährige Frau mit Verwunderung entdeckt, welche Neugier sie für feine Restaurants und Jazz habe. Das Entwickeln der eigenen Persönlichkeit sei wiederum eine gute Voraussetzung für eine Partnerschaft – und damit auch Vorbereitung auf den nächsten Freund. „Hätte ich vorher meine Bedürnisse gekannt, wär's besser gewesen“, folgerten die Befragten, berichtete Jaeggi.

Das Alleinsein erzeuge oft ein großes Vakuum. Plötzlich sei keiner mehr da, dem man alles erzählen könne. Das bedauerten Singles immer wieder, stellte Jaeggi fest. Doch auch die Ehe habe hier einen Haken. Untersuchungen hätten ergeben, je länger der Bund fürs Leben dauert, um so mehr verkürzen sich Gespräche zwischen den beiden Lebenspartnern — bis auf wenige Minuten täglich. Der Leiterin der Alleinstehenden-Gruppe widersprach Jaeggi deutlich: Es sei reine Behauptung, daß Freundschaften ohne festen Partner oberflächlich seien. Ihre Befragung habe das Gegenteil ergeben. Freunde würden nach ihren Stärken ausgesucht, mit dem einen rede man über Politik, mit dem anderen über das Liebesleben. Im Gegensatz zur partnerschaftlichen Beziehung sei zwar nachteilig, daß die Selbstverständlichkeit des Redens fehle und quasi Termine vereinbart werden müßten. Der Vorteil sei dafür, daß diese Gespräche „sehr viel dichter“ seien.

Die Sorge vor der Einsamkeit könne so weit gehen, daß der Betreffende Todesängste bekomme. Einsam werde man, wenn man für niemanden mehr der Wichtigste sei. Doch im Grunde stecke hinter dieser Sorge die Illusion der Unersetzlichkeit, die vergehen kann, sagte Jaeggi. Wer diese Illusion aufgebe, gewinne eine innere Freiheit – sich selbst wichtig zu sein. Wer diesen Schritt bewältige, werde erwachsener.

Für Jaeggi gehe es bei der Frage des Singles deshalb auch nicht darum, ob er glücklicher oder unglücklicher sei als Menschen in anderen Beziehungen. Diese Lebensform – in der Regel auf Zeit gewählt, manchmal aber zur Dauer geworden – werde bestimmten Bedürfnissen gerecht. Deshalb sei sie eine Form neben anderen. Auch die Ehe sei eher auf Zeit angelegt denn auf Ewigkeit. Sie erfülle heute vor allem die Funktion, für die Kinder zu sorgen. Historisch betrachtet, habe die Ehe noch nie so lange gedauert wie heute. Ein Grund sei medizinischer Natur; schließlich würden die Menschen immer älter. Wer diese Form des Zusammenlebens deshalb als Ideal betrachte, verabsolutiere den Ehebund, ohne gesellschaftliche Veränderungen zu berücksichtigen.

Wer über Singles Vorträge hält, kommt natürlich nicht darum herum, die eigene Lebensform zu verraten. Die 58jährige Psychologin war 20 Jahre verheiratet, ist Mutter und seit 10 Jahren Single. Also nicht glücklicher oder unglücklicher als jeder andere Mensch auch. Dirk Wildt

„Ich sag' mir selber ,Guten Morgen‘!“, Eva Jaeggi, Verlag Piper, 39,80 Mark.