Nebensachen aus Rom
: Italienisches Nord-Süd-Gefälle

■ Die Musik, der Geräuschpegel und der mühsame Windmühlenkampf dagegen

Daß Italiens Nordmenschen wie alles, was von „dort oben“ kommt, einen wenigstens leichten Defekt im Kopf haben, gilt mindestens ab Florenz südwärts für ausgemacht. Speziell, was den Umgang mit Geräuschen betrifft, gibt es faktisch überhaupt keine Verständigungsbasis zwischen Nord- und Südlichtern. Schon als der venezianische Kulturdezernent Salvatori weiland 1987 seinen Gondolieri verbot, lauthals das notorische „O sole mio“ zu schmettern, und statt dessen anregte, lieber zarte, aus der Lagunenstadt selbst stammende Töne zu intonieren, sahen viele Neapolitaner dies nicht nur als puren Rassismus an („O sole mio“ entstammt dortiger Tonkunst), sondern als typisch nordische Intervention gegen ein Singen aus voller Brust. Und als die Venezianer wenig später nach einem gigantischen Pink-Floyd-Konzert auf der Piazza San Marco demonstrativ eine Ausstellung der durch die Vieltausend-Watt-Beschallung zerschmetterten Fassadenteile und Ornamente veranstalteten, hielten viele im Süden das für eine möglicherweise gar von germanischen Einflußagenten provozierte Macke.

Um so weniger verständlich scheint nun vielen Südlichtern, was ausgerechnet der Römer und insofern doch lärmgewohnte neue Kulturminister Alberto Ronchey versucht: nirgendwo mehr, wo historische Gebäude oder reine Wohngegenden zu finden sind, darf künftig mehr schnarrende Lautsprechermusik oder anderweitig akustisch Beeinträchtigendes ertönen. Die Arena von Verona, berühmt wegen ihrer Aida-Posaunen, ebenso wie die Caracalla-Thermen in Rom, in der Pavarotti und Domingo ihre hohen Ds schmettern, sind künftig tabu. Kirchen, soweit vom Staat zu erhalten, müssen erst mal den Beweis ihrer Tonverträglichkeit erbringen, ehe Verstärker hineindürfen, und selbst am Strand soll demnächst mehr Ruhe herrschen: Umweltschützer haben das Verbot weiterer Verwendung starkphoniger Radios und der an den Bars üblichen La- Signorina-Raffaella-al-telefono- Durchsagen durchgesetzt.

Das freut den Touristen, gilt jedoch dem Einheimischen des Südens als weiterer Beweis neumodischer Dekadenz. Schon Mitte der achtziger Jahre, als die EG- Umwelt-Kommission die Beschränkung der Dezibel-Höhen in Städten diskutierte, war den italienischen Verhandlungspartnern im wesentlichen völlig unklar, was die anderen Europäer da wollten – selbst der ansonsten für Umweltschutz schwer kämpfende Italo-Kommissar in Brüssel, Ripa De Meana, konnte sich nur schwer bereitfinden, „derlei Schnickschnack als ökologischen Fortschritt“ aufzufassen. „Der bei offenem Fenster auf volle Pulle aufgedrehte Fernsehapparat, und das 24 Stunden lang“, wunderte sich damals ein deutscher Teilnehmer, „gehört bei denen offenbar zu den verbrieften Grundrechten.“

Und zum echten Lebensgefühl. Motorräder und Autos zählen weniger nach Pferde- als vielmehr nach Lautstärken. Segelfliegen und Windgleiten, das haben auf die Steilabfälle des Apennin begierige Teutonen längst herausgebracht, steht in Italien weit hinter den „Superleggeri“ zurück, den mit einer Art Rasenmähermotor ausgerüsteten und laut knatternden Leichtmotorflugzeugen. Die in anderen Ländern vordringenden Elektro- Fahrzeuge kommen südlich des Brenner vor allem deshalb nicht in Fahrt, weil sie geräuschlos sind.

Selbst Gestriges wird da noch hochgehalten, wenn es nur scheppert: Als in einem Reitstall südlich von Rom Deutsche die Führung übernahmen und den Pferden gemäß moderner Haltung die meist hufschädlichen Eisen abnahmen, war das umliegende Entsetzen groß: „Aber da hört man ja die Tritte überhaupt nicht mehr“, entrüstete sich ein Freizeitkavalier und entfoh eiligst in das benachbarte Galoppatoio, wo die Pferde zwar alle lahmen, aber auch bei ungleichem Tritt immerhin noch kräftige Klappergeräusche vollbringen. Werner Raith