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Bosnien: Mord war ein "Unglück"

■ UN-Sprecher entschuldigt Erschießung des stellvertretenden bosnischen Ministerpräsidenten: Blauhelme leisten keinen bewaffneten Personenschutz

Genf (taz) – Mit fünfstündiger Verzögerung begann gestern nachmittag in Genf die voraussichtlich letzte Runde der Jugoslawienkonferenz. Grund: Der bosnische Serbenführer Karadzic hatte sich verspätet.

Kurz bevor Karadzic den UNO- Palast betrat, reiste der Präsident Bosnien-Herzegowinas Alija Izetbegovic in die senegalesische Hauptstadt Dakar, wo er heute die islamische Konferenz um Unterstützung für Bosnien bitten will. Bis zu seiner Rückkehr habe Außenminister Jaris Silajdic „die volle Verhandlungsautorität“. Gerüchte, wonach die bosnische Regierungsdelegation wegen der Ermordung von Vizepremier Hakija Turajlic durch serbische Soldaten zunächst nicht an den Verhandlungen teilnehmen werde, bestätigten sich damit nicht. Heute wird in Genf zum erstenmal seit Beginn der Jugoslawienkonferenz Anfang September auch der serbische Präsident Milosevic erwartet.

Turajlic war am Freitagabend auf dem Weg vom Flughafen Sarajevo zu seinen Dienstgebäude von einem nicht uniformierten Serben mit fünf Schüssen tödlich verletzt worden, während er in einem gepanzerten Fahrzeug der UNO- Schutztruppe UNPROFOR saß. Etwa fünfzig serbische Soldaten hatten zuvor den von französichen Soldaten begleiteten UNPROFOR-Konvoi mit der Begründung gestoppt, in den Fahrzeugen würden für die Muslime bestimmte Waffen aus der Türkei transportiert. Im Verlauf der über zweistündigen Durchsuchung öffneten die Blauhelme auch die Luke des Fahrezuges, in dem Turajlic saß.

Warum die Soldaten die Ermorderung Vizepremiers nicht verhinderten, darüber wurde in Genf am Wochenende heftig spekuliert. Der Sprecher der Konferenzvorsitzenden Vance und Owen nannte den Mord einen „bedauerlichen Unglücksfall“. Eckard erklärte, die UNPROFOR-Truppen hätten „auch wenn ihre Bezeichnung den Eindruck erweckt, nicht das Mandat, Personen mit Waffeneinsatz zu schützen“. Zudem müsse er „daran erinnern, daß vor einigen Monaten aus Bosnien abziehende Kadetten der Jugoslawischen Volksarmee von muslimischen Soldaten in ähnlicher Weise erschossen wurden, während UNPROFOR-General McKenzie danebenstand“. Gegenüber der „taz“ meinte Eckard später, die Begleitsoldaten hätten sich möglicherweise den fünfzig Serben unterlegen gefühlt und deswegen nicht versucht, den Mord zu verhindern.

Mitglieder der bosnischen Regierung hatten nach der Ermordung Tuajlics zunächst von einer Suspendierung der Teilnahme an der Genfer konferenz gesprochen und dann einige Vorbedingungen gestellt, wie die Aufhebung des Waffenembargos an die Muslime. Tatsächlich kam Präsident Izetbegovic gestern jedoch bereits vor dem geplanten Beginn der Verhandlungsrunde zu einem Gespräch mit Vance und Owen. Zuvor hatte Izetbegovic auf dem Rückweg aus dem USA in Paris Station gemacht. Dort wurde er am Samstag von Staatspräsident Mitterand empfangen und führte ein längeres Telefonat mit UNO-Generalsekretär Butros Ghali. In Washington hatte Außenminister Eagleburger zuvor zunächst eine Treffen mit Izetbegovic abgelehnt – auf Drängen von Vance, der davon eine Beeinträchtigung der Genfer Verhandlunen befürchtete. Erst als diese Weigerung Journalisten bekannt wurde, fand sich Eagleburger doch zu einem Gespräch mit Izetbegovic bereit.

Bei der Abreise nach Dakar erklärte der bosnische Präsident gestern nachmittag, er warte jetzt darauf, daß Karadzic seine Haltung zu dem von Vance und Owen am letzten Montag vorgelegten Abkommen (Waffenstillstand, Verfassung, Karte für die Aufteilung Bosnien-Herzegowians in zehn Provinzen) offiziell mitteile. Das „Parlament“ der selbsernannten „Serbisch-Bosnischen Republik“ hatte das Abkommen am Freitagabend als völlig unakzeptabel abgelehnt. Andreas Zumach

Siehe Seiten 8 und 10

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