Streit um Krümmel: Heiße Spuren im Sand?

■ Eltern und BI enttäuscht über fehlende Ergebnisse

Wann immer über die Ursachen für die hohe Rate von Leukämieerkrankungen in der Nähe des Kernkraftwerks Krümmel (bei Geesthacht) und des Kernforschungszentrums GKSS gerätselt wird, finden sich Wissenschaftler, die öffentlich „heiße Spuren“ aufzeigen oder leugnen. In die bittere Posse um die Ängste der Betroffenen hat sich nun die Kieler Landespolitik eingeschaltet: Die FDP- Fraktion spricht von „ideologischer Profilierung“ von Wissenschaftlern, die CDU machte gar „wissenschaftliche Scharlatane“ aus.

In der Elbmarsch waren in den vergangenen Jahren sieben Kinder und ein Erwachsener an Leukämie erkrankt, drei von ihnen starben. Im Dezember 1991 trat die Bremer Atomphysikerin Prof. Inge Schmitz-Feuerhake mit Untersuchungen von Chromosomen (Erbmaterial) an die Öffentlichkeit, die einen Verdacht auf die Kernenergie als Verursacher lenken — etwas anderes sei kaum möglich, so die Wissenschaftlerin. „Absurd“ urteilte dagegen der Hamburger Strahlenbiologe Prof. Horst Jung über den Verdacht. Für ihn sind die vorliegenden Leukämie-Häufungen etwas „ganz normales“. Jung legte nach: „Wenn Politiker ein bestimmtes Resultat haben wollen, werden die Arbeiten an eine drittklassige Wissenschaftlerin vergeben.“

Im Februar 1992 legte der Mainzer Medizinstatistiker Prof. Jörg Michaelis eine Studie vor, nach der es keine erhöhte Krebsrate bei Kindern unter 15 Jahren gibt, doch gebe es ein „leicht erhöhtes relatives Risiko“ für Kinder unter fünf Jahren im 5-Kilometer-Umkreis um Kernanlagen. Als von anderen Erkrankungen in der Nähe des Kernkraftswerks Brunsbüttel gesprochen wird, warf Michaelis dem Kieler Sozialministerium vor, es habe „nicht solide recherchiert“.

Im November wurden Untersuchungen des Münchener Wissenschaftlers Edmund Lengfelder publik, der radioaktive Anlagerungen in Baumscheiben um die Atomanlagen gefunden haben will. Göttinger Wissenschaftler melden im Dezember nach Baumscheiben-Untersuchungen „Entwarnung beim Strahlenverdacht“.

Vor Ort bleibt den Bürgerinitiativen nur der Frust. Zwar gibt es ein Interesse, frühzeitig Forschungsergebnisse zu erörtern, doch sei „die Debatte verfahren“, meint Klaus Scheerer von der Umweltschutzgruppe Robin Wood: „Aber wie soll man es anders machen?“ Marion Lewandowski von der Bürgerinitiative „Eltern für unbelastete Nahrung“: „Einiges von Wut und Enttäuschung ist erklärbar.“ Die Initiativen wollen nun Wissenschaftler ihres Vertrauens auf dem Gelände des Kernkraftwerks Krümmel forschen lassen: „Man kann noch mehr Bäume umsägen und noch mehr Blut abzapfen — Die Ergebnisse werden sich kaum ändern“, glaubt Scheerer. Norbert Hahn