: Parteienklüngel bei Schöffenwahl
■ DVU hat kein Recht auf Richterbank / SPD übt Selbstkritik / ParteienvertreterInnen „automatisch gewählt“
Marion Blohm hätte nicht Schöffin werden müssen. Entgegen der Äußerungen aus dem Bremerhavener Schöffenwahlausschuß hat keine Partei irgendeinen Anspruch auf ein Schöffenamt, und schon gar nicht auf drei Schöffen, wie sie in den kommenden Jahren von der DVU besetzt werden. Die Wahl der Fraktionsvorsitzenden Marion Blohm hätte genauso verhindert werden können wie auch die der Stadtverordneten Siegfried Tittmann und Peter Zellmer.
Die Mitglieder des Bremerhavener Wahlausschusses hatten sich in den vergangenen Tagen immer wieder damit gerechtfertigt, daß die DVU ihre Vorschläge auch juristisch hätten durchsetzen können. Wenige Tage später entpuppt sich das als reine Schutzbehauptung: Nicht die vermeindliche Verhinderung eines Rechtsstreits, bei dem sich die DVU hätte profilieren können, war der Grund für die Wahl der drei DVU-Mitglieder. Offensichtlich war es eine Mischung aus Unkenntnis und schlechter Klüngelgewohnheit, die zur Wahl geführt hat. Die Basis dafü hat allerdings die Stadt Bremerhaven gelegt, die es offensichtlich nicht geschafft hat, genügend Bürger zu motivieren, sich für das Schöffenamt zu melden. „Da haben die dann jeden genommen, der gemeldet wurde“, hieß es gestern aus Bremerhaven. Ganz anders als in Bremen: Für die Bremer Schöffenliste hatten sich so viele gemeldet, daß der Bremer Wahlausschuß weit mehr als die Hälfte der gemeldeten ablehnen mußte. „Sieben Zentimeter dick“ sei der Bewerbungsstapel gewesen, sagt die Grüne Maria Spieker.
In Bremerhaven herrschte akute KandidatInnennot, und dazu kam noch die liebe alte Gewohnheit, die die DVU-ParlamentarierInnen an den Richtertisch gebracht hat. Weil der Ausschuß die Vorschläge mit Zwei- drittel-Mehrheit absegnen muß, hat sich eingeschliffen, daß die eine Partei die Vorschläge der anderen nicht kippt, um die eigenen durchzubekommen. „Das ist dann eine Soße“, sagte ein Insider. Dazu sei noch die Unklarheit gekommen, ob denn Ablehnungen überhaupt möglich sind, weil sich vorher niemand darum gekümmert hatte — und schon sei Frau Blohm und die beiden Kandidaten gewählt gewesen. Und Siegfried Tittmann kann am 27. Januar zum erstenmal Richter sein.
Beim Bremer Wahlausschuß sei die DVU überhaupt nicht dagewesen, erzählt Maria Spieker. Und bis jetzt sei auch keine DVU-Prominenz auf der Bremer Liste aufgetaucht, die im Dezember verabschiedet worden ist. Rechtsextreme auf SchöffInnenposten sind in Bremen kein Thema, auch nicht in den letzten Jahren. In den letzten Jahren habe es keine Befangenheitsanträge in dieser Richtung gegeben, erzählt der Amtsgerichtspräsident Tönnies.
Unterdessen erfuhr die taz, daß Marion Blohm nicht die erste Abgeordnete im Schöffenamt ist. Noch am vergangenen Donnerstag hatte die SPD-Bürgerschaftsabgeordnete Barbara Wulff Frau Blohm „dringend“ aufgefordert, im Sinne der demokratischen Gewaltenteilung ihr SchöffInnenmandat nich anzunehmen: „Mit einer Verzichtsentscheidung in diesem Sinne könnten Sie zeigen, daß Sie die erste Lektion in Staatsbürgerkunde verstanden haben.“ Da hat Frau Wulff ungewollt auch sozialdemokratische Selbtkritik geübt: Seit der Bürgerschaftswahl vom September 91 bis zur Neuwahl der SchöffInnenliste war ihre Fraktionskollegin Hella Poppe sowohl Abgeordnete, als auch Schöffin. „Das war ja nur noch ein Jahr“, sagt Frau Poppe. Und von dem Brief von Barbara Wulff „weiß ich nichts.“ J.G.
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