: Wo Kohl wirklich Seife redet
■ „Extra Drei“ feierte am Freitag seine 800. Sendung
Kaum hatte sich das Silvester- Gruppenbild der Lindenstraße zum wiederholten Male um den verstorbenen Amateur-Maler Franz Schildknecht formiert, wurde es auf N3 erst richtig ernst: Die „einzig wahre Wochenschau“ widmete sich ihrer schweren Aufgabe, den entscheidenden Fragen unserer Zeit nachzugehen. Wer sonst bitte spürt denn schon im deutschen Fernsehen Themen wie der pfiffigen Abwärmenutzung durch ein städtisches Hamburger Krematorium nach? Na also.
Gnadenlos, auch gegen sich selbst, führten Hans-Jürgen Börner und Rainer Markgraf mit „The Best of Extra Drei“ vor, wohin und wie weit es eine Fernsehsendung nach 800 Ausgaben getrieben hat, die 1976 vom damaligen Chefredakteur Peter Merseburger ahnungslos als „Dreizeit“ aus der Taufe gehoben worden war. Die „Profilierung zur Satire“ sei zwangsläufig gewesen, beteuern die heutigen Magazin-Verwalter unschuldsvoll. Nun ja. Aber muß man die Neujahrsansprache dieses unseres Kanzlers wirklich mit der „Lach-Schleife“ einer x-beliebigen Seifenoper unterlegen, nur weil sonst niemand lacht? Und ist es nicht einfach geschmacklos, ein Berliner Meistertanzpaar beim Dirty Dancing optisch in den Hamburger Strip-Schuppen „Salambo“ zu versetzen? Oder gar unverantwortlich, auf die „Oben-ohne-Autowäsche“ in der heiligen Stadt Tschenstochau in Polen hinzuweisen?
Und dann sind diese Entgleisungen nicht nur nahezu überall nördlich des Weißwurst-Äquators zu sehen, sondern dank Satellit „Astra“ und Kabelnetz auch noch im Rest der Republik. Hans-Jürgen Börner wiegelt ab: „Wir sind eine Sendung ohne Konzept.“ Wer's glaubt! Börners sehnlichster Wunsch ist nämlich, wie er der taz anvertraute, sich einmal geschlagene zwei Stunden „Extra-Drei“- mäßig nur einem zu widmen: Helmut Kohl, wie ihn jeder kennt. Und dem Vernehmen nach soll auch nur das Rundfunkgesetz seinen Plan verhindert haben, im Rahmen der „einzig wahren Wochenschau“ das „Wort zum Sonntag“ auszustrahlen. Derartige Demaskierungen sind nun wirklich überflüssig.
Da muß man sich nicht wundern, wenn dieses angeblich konzeptionslose Magazin von Rechtsabteilung und Rundfunkrat als „manchmal etwas arbeitsaufwendig“ empfunden wird. Bedenklich stimmt auch, daß sich allwöchentlich eine regelrechte Fan-Gemeinde um Börners blaues Kunstledersofa versammelt. Beruhigend hingegen, daß es sich dabei um eine Minderheit zu handeln scheint und daß dieses Programm mit Titanic-Schlagseite in der trockenen Fernsehlandschaft Seltenheitswert hat. Noch. Ulla Küspert
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