: Clinton-Team hofft auf das Unwahrscheinliche
■ Neue US-Administration möchte Interventionsszenarien in der Schublade lassen
Für die Gesandten Bill Clintons war es ein Moment, den sie „nie vergessen werden“. Mitten in das Treffen mit Bosniens Präsidenten Izetbegović platzte am Freitag nachmittag die Nachricht von der Ermordung des bosnischen Vizepremier Turalic. Mehreren Mitgliedern der bosnischen Delegation liefen die Tränen über das Gesicht, Izetbegović wahrte noch 15 Minuten die Fassung, dann unterbrach er das Treffen. Er war gerade dabei, dem Clinton-Team die Zerstückelung seines Landes in zehn autonome Provinzen zu erklären, die von UNO-Vermittler Vance und EG-Vermittler Owen ausgearbeitet worden ist.
Bislang haben weder die Bush- Administration noch das Übergangsteam Bill Clintons offiziell zu diesem Vorschlag Stellung bezogen. Beiden ist klar, daß der Vance-Owen-Plan letztlich die Eroberungspolitik Serbiens belohnt. Die scheidende Bush-Administration, aber vor allem das Außenministerium muß sich den Vorwurf gefallen lassen, jener Politik aus einer Mischung von alten proserbischen Loyalitäten, Orientierungslosigkeit und Ignoranz zugesehen zu haben. Bill Clinton kann immerhin für sich in Anspruch nehmen, schon im Wahlkampf für ein schärferes Vorgehen, vor allem für die Durchsetzung des Flugverbots, votiert zu haben. Doch der neue Präsident und seine nominierten Kabinettsmitglieder halten sich mit Kritik an Vance und Owen strikt zurück, so bitter sich auch Izetbegović bei seinem USA-Besuch über deren Appeasement-Politik gegenüber Serbien beklagte.
Im Clinton-Team hofft man dennoch auf das Unwahrscheinliche: daß sich die serbische Seite tatsächlich auf den Vance-Owen- Plan einläßt und man in Washington die Szenarien für ein militärisches Eingreifen mit einem Seufzer der Erleichterung vorerst wieder in die Schubladen stecken kann. Für den Fall des Scheiterns, einer folgenden bosnischen Offensive und entsprechenden Fernsehbildern ist abzusehen, daß Clintons neue UNO-Botschafterin Madeleine Albright im Sicherheitsrat auf eine Durchsetzung des Flugverbots, verbunden mit Bombenangriffen auf strategische Ziele in Serbien, drängen wird.
Im Pentagon, wo man lange Zeit beim Stichwort Bosnien mit dem Ausruf „Achtung, Sumpf“ reagierte, existieren nach wochenlangem Brainstorming inzwischen mehrere Interventionsszenarien. Neben der Durchsetzung der „No- Fly-Zone“ werden Art und Umfang von Waffenlieferungen diskutiert, falls das Embargo gegen Bosnien aufgehoben wird; Pläne zur Ausdehnung des militärischen Schutzes für Hilfslieferungen werden ebenso durchgespielt wie die Schaffung von Sicherheitszonen (safe havens) in Bosnien, was wiederum den Einsatz von Bodentruppen voraussetzen würde.
All dies sind militärische Gedankengänge. Von einer politischen Zielsetzung durch die zukünftige Administration ist bislang noch nichts zu sehen. Die aber muß Clinton formulieren können — nicht nur, um sich mit seinem höchsten Militär, dem Vorsitzenden der „Joint Chiefs of Staff“, General Colin Powell, einig zu werden. Powell vertritt im Fall Bosnien die „Alles-oder-nichts“-Position. Entweder die USA intervenieren im Rahmen der UNO so massiv, daß Serbiens Präsident Slobodan Milošević zum Einlenken gezwungen werden kann — oder man hält sich ganz heraus. Völlig unklar ist bislang: Wozu will man Milošević zwingen? Zur Einhaltung eines Waffenstillstands? Zur Zustimmung zum Vance-Owen-Plan? Und selbst wenn dies gelänge, ist keineswegs gesagt, daß Serbiens Präsident genügend Kontrolle und Macht über die serbischen Milizen in Bosnien hat.
Diskutiert man in Washington über Intervention, dann sind nach wie vor Angriffe aus der Luft gemeint. Vom Einsatz von US-Bodentruppen will auch die zukünftige Clinton-Administration nichts wissen. Bodentruppen, so argumentierte unlängst auch die New York Times, sollten von Kroaten und Muslimen selbst gestellt werden, um Sicherheitszonen zu schützen, während die Nato für deren Versorgung zuständig sein sollte.
Wie die Clinton-Administration ihre Politik im Fall Bosnien formulieren wird, hängt nicht zuletzt davon ab, wie man das Risiko einer Ausbreitung des Konflikts auf andere Regionen einschätzt. In der US-Presse wird dabei nicht mehr nur über Mazedonien und Albanien geredet, sondern auch über die drohende Destabilisierung Deutschlands durch weitere Flüchtlinge. Andrea Böhm, Washington
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