"Autonome sind keine hirnlosen Schläger"

■ Ein 20jähriger Anhänger der autonomen Szene zur Liste über angebliche "Faschisten-Treffpunkte" / Aufbau von Selbstverteidigungsgruppen bis Ende des Jahres geplant / Sie sollen Nazi-Kader angreifen

taz: Am Rande der Antifa-Demonstration am 5. Dezember wurde in Kreuzberg eine Liste verteilt, auf der 25 Kneipen, Diskotheken und Jugendclubs mit Name und Adresse als „Treffpunkte von Faschisten“ aufgeführt sind. Wer hat diese Liste zusammengestellt?

Marcus Meyer (Name geändert): Die Liste stammt vom Vorbereitungsplenum für die Demonstration, das sich aus unterschiedlichen Gruppen und Einzelpersonen zusammensetzte. Unsere Intention war es, einige Treffpunkte von Faschisten bekanntzumachen. Da die Demo-Route an vielen Treffpunkten vorbeiführte, war die Liste auch ein Beitrag, den Teilnehmern einen sicheren Heimweg zu ermöglichen.

Die Angaben sind nicht nur schlecht recherchiert, sondern zum Teil sogar falsch.

Wir haben uns Mühe gegeben, sämtliche Namen und Adressen der genannten Treffpunkte zu überprüfen. Wenn Fehler unterlaufen sein sollten, ist das bedauerlich.

Viele Jugendliche tendieren heutzutage nach rechts. Treibt Ihr sie nicht in die Arme der Rechtsradikalen, wenn Ihr die Clubs angreift?

Es ist uns wichtig, nicht das Fußvolk der Faschisten anzugreifen, weil es dadurch in der Tat weiter in die rechte Ecke gedrängt werden könnte. Wir bemühen uns vielmehr, die Nazi-Kader anzugreifen. Wenn es uns gelingt, die Führungsriege aus dem Verkehr zu ziehen, werden auch die Mitläufer außer Gefecht gesetzt – nicht nur, weil sie ohne Führer wären, sondern auch Angst bekämen.

In den Clubs, die Ihr aufgelistet habt, treffen sich politisierte und unpolitisierte Jugendliche. Wie wollt Ihr denn da eine Unterscheidung treffen?

Wir haben in der Liste grundsätzlich angegeben, ob es sich um reine Nazi-Treffpunkte handelt oder ob die Einrichtungen auch von einem gemischten oder sogar linken, alternativen Publikum frequentiert werden. Wenn autonome Gruppen Angriffe vornehmen, sind sie gut genug vorbereitet, nicht die Falschen zu treffen.

Die Überschrift der Liste „Treffpunkte von Faschisten“ erweckt aber einen anderen Eindruck.

Es wird ausdrücklich darauf hingewiesen, daß abgesehen vom Publikum auch Betreiber, Sozialarbeiter oder Wirte der Clubs und Kneipen nicht grundsätzlich etwas mit den Rechten zu tun haben. Verwunderlich ist aber, daß sich Rechtsradikale dort völlig unbehelligt treffen können.

Sind die Angriffe nicht Ausdruck eines hilflosen Antifaschismus?

Es ist doch nicht so, daß die autonome Szene aus hirnlosen Schlägern besteht. Es ist einfach so, daß unsere Toleranz Grenzen hat. Die Angriffe der Nazis werden immer massiver und brutaler, und wir sind gezwungen, zur Gegenwalt zu greifen. Das heißt nicht, daß es uns Spaß macht, Personen zu verletzen.

Der Staatsschutz ist der Auffassung, daß die Aktionen der Autonomen beliebiger werden und alles und jedes mit dem Argument der „Verteidigung gegen Nazis“ begründet wird.

Den Schuh ziehen wir uns nicht an, schon gar nicht, wenn er vom Staatsschutz kommt. Wenn der Rechtsstaat konsequent gegen Rechtsradikalismus vorgehen würde, müßten wir nicht zur Gewalt gegen Nazis greifen.

Ist die Liste ein Zeichen dafür, daß Ihr von der Defensive in die Offensive gehen wollt?

Richtig. Bisher haben wir eher auf Übergriffe der Nazis reagiert und dabei festgestellt, daß es schwierig ist, Angriffe auf Flüchtlingsheime oder Einzelpersonen zu verhindern. Deshalb wird jetzt der Aufbau von Selbtverteidigungsgruppen diskutiert, die auch offensiv agieren sollen, beispielsweise durch Angriffe auf Nazi-Kader.

Gibt es dafür schon eine Organisationsstruktur?

Es gibt diese Bestrebungen in unterschiedlichen Gebieten der Bundesrepublik, wo sie zum Teil weiter gediehen sind als in Berlin. Ich gehe davon aus, daß hier bis Ende des Jahres die ersten Gruppen existieren werden.

Wie weit werden diese Gruppen gehen?

Es geht uns nicht darum, wie die Nazis Menschen umzubringen. Ich kann mir phantasievollere Aktionen vorstellen, zum Beispiel vor einer Verstaltung mit einem Nazi- Kader dessen Auto in die Luft zu sprengen – damit wäre verhindert, daß er auf der Diskussion seinen braunen Dreck verbreiten kann.

Wie weit ist der Grad der Selbstbewaffnung mittlerweile vorangeschritten?

In linken Kreisen hält sich die Bewaffnung im üblichen Rahmen: zum einen, um sich selbst zu schützen, und zum anderen für Aktionen, etwa gegen Nazi-Kader, Sexshops oder Bonzenautos. Das heißt aber nicht, daß man sich Waffenlager anlegt, sondern eher auf herkömmliche Mittel, wie Mollis oder Eisenstangen, zurückgreift.

Werden alle Aktionen aus dem autonomen Spektrum von euch vorbehaltlos mitgetragen?

Nein. Zunächst ist nicht jeder Vermummte ein Autonomer, außerdem werden viele Übergriffe fälschlicherweise uns zugeschrieben. Es gibt sicherlich viele, die Mythen im Kopf haben, sich ihre Hassi (Vermummung; d. Red.) aufsetzen und versuchen, wahllos irgendwelche Kurzhaarigen aufzuschlagen. Das ist aber nicht Politik der Kreise, in denen ich verkehre. Es gibt sehr wohl Dikussionen über Aktionen, die gelaufen sind, und die Kritik kann mitunter sehr harsch sei.

Kannst du hierfür ein Beispiel nennen?

Ja. Als zum Beispiel einige mit Eisenstangen bewaffnete Vermummte in Hellersdorf auf einem U-Bahnhof Passanten zusammenschlugen, weil sie unter ihnen Nazis vermuteten, gab es in autonomen Kreisen einhelligen Protest. Solche Aktionen sind kein Angriff gegen Rechts, sondern schaden der linken Politik.

Wie ist das Verhältnis zwischen den ausländischen und den deutschen Jugendlichen?

Größtenteils agieren ausländische Jugendgruppen mehr für sich. Die autonome Szene dagegen besteht überwiegend aus Deutschen. Es gibt sehr viele Gangs in Kreuzberg und Neukölln, mit denen die Zusammenarbeit schwerfällt, weil sie mit Politik nichts im Sinne haben. Mit der türkischen ,Antifa- Genclik‘ aber beispielsweise, die einen hohen politischen Anspruch hat, läuft die Zusammenarbeit hervorragend. Nicht nur bei Schlägen gegen Rechts, sondern auch bei der Vorbereitung von Demonstrationen, Musik- und Dikussionsveranstaltungen. Interview: Severin Weiland

und Plutonia Plarre