: Arbeitslosigkeit: Ohne neue Wege nur altes Elend
■ Runder Tisch: Umverteilung und radikale Arbeitszeitverkürzung unumgänglich
Berlin. Für FU-Politologe Professor Peter Grottian, kreativer Streiter für unkonventionelle Beschäftigungsmodelle, ist die traditionelle Arbeitsmarktpolitik längst gescheitert. Er forderte am Montag abend beim „Runden Tisch Zukunft der Arbeit“ deswegen ein „regelverletzendes Signal“. Mit einem dreitägigen Hungerstreik sollen Senatoren, Bischöfe und Gewerkschaftsvorsitzende der Gesellschaft klarmachen, daß nur mit einer neuen „Logik“ der Arbeitslosigkeit beizukommen sei.
Die Idee erheiterte im Reichstag etliche der zweihundert Arbeitsplatzbesitzer, die Arbeitssenatorin Christine Bergmann (SPD) eingeladen hatte. Der Notwendigkeit, angesichts von über drei Millionen Arbeitslosen nach neuen Wegen zu suchen, mochte freilich kaum einer der Unternehmer, Gewerkschafter, Wissenschaftler und Politiker widersprechen. Der offizielle Arbeitsmarkt habe versagt, jetzt müßten neue Wege gesucht werden, meinte der Berliner IG-Metall-Chef Manfred Foede. Auch IHK-Präsident und Schering-Vorständler Horst Kramp betonte seine Gesprächsbereitschaft. Freilich klang ihm mancher Vorschlag „utopisch“, wobei er sich vor allem um die Wettbewerbsfähigkeit sorgte.
Damit antwortete Kramp auf die Forderung der Sozialwissenschaftlerin Ingrid Kurz-Scherf nach radikaler Arbeitszeitverkürzung – wobei sie den Unternehmern den Köder vorwarf, trotz Sechs-Stunden-Tag zur besseren Maschinenauslastung Zwölf-Stunden-Schichten zu fahren. Die zeitweise Freistellung als ein probates Mittel, Millionen Arbeitsplätze zu schaffen, proklamierte Volker Meinhardt vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. Doch da hapert es: Firmen aber seien derzeit weder dazu bereit, auf ihre qualifizierten Leute zeitweise zu verzichten, noch sei das Rentensystem auf solche „Aussetzer“ eingerichtet. Auch der enge Handlungsrahmen des Arbeitsförderungsgesetzes müßte erweitert werden, vertrat Frau Kurz-Scherf.
Sie markierte auch die ideologische Grenzlinie: Selbst eine „kluge Industriepolitik führt nicht aus der Wachstumsgesellschaft heraus“. Ein neuer Begriff von nützlicher Arbeit, zu der auch die Kindererziehung gehöre, müsse her, betonten Diskutanten. Arbeit gebe es gerade in den neuen Bundesländern mehr als genug – nur werde sie nicht bezahlt. Grottian propagiert deswegen, direkt in die Arbeitslosen zu investieren. Die sollten sich, ausgestattet mit einem „Arbeitsplatzkredit“, selbst Arbeit suchen: sich selbständig machen, sich mit dem Geld in einen Betrieb einkaufen oder Selbsthilfeprojekte auf die Beine stellen. Floriert das Projekt nach einiger Zeit, muß zurückgezahlt werden. Einwänden begegnet Grottian kühl: Schließlich seien mit 130 Milliarden Mark für die Treuhand Millionen Arbeitsplätze vernichtet worden.
Noch hat sich Senatorin Bergmann nicht für Grottians Idee entschieden. Handeln will sie dennoch: So sollen Beschäftigte im öffentlichen Dienst freiwillig ihre Arbeitszeit zugunsten von Kollegen verkürzen, denen sonst Entlassung droht. Gerd Nowakowski
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen