Regierung Amato schon am Ende?

In Rom zeichnet sich die nächste Krise ab/ Trotz Vertrauensaufschwung und Erfolgen im Kampf gegen notorische Übel zehrt der Verschleiß der Parteien an der Gesellschaft  ■ Aus Rom Werner Raith

Die Ankündigung wurde im Lande eher mit schallendem Gelächter denn mit tierischem Ernst aufgenommen: Im Laufe der Woche wird Oppositionsführer Achille Occhetto, Vorsitzender der Demokratischen Partei der Linken (PDS), einen Mißtrauensantrag gegen die Regierung des Sozialisten Giuliano Amato (und die mitregierenden Minister von Christ- und Sozialdemokraten sowie Liberale) einbringen – ein „konstruktives“ Mißtrauensvotum, wie Occhetto versichert.

Das freilich ist in der italienischen Verfassung bisher gar nicht vorgesehen, und entsprechend wolkig fiel denn auch die Begründung des „Eisernen Schnurrbarts“ (Journalistenspott) aus: Er werde bei der Antragstellung nicht nur kritisieren, sondern gleich mal Wege für eine Alternative aufzeigen. Die allerdings schien angesichts der nur 20 Prozent PDS-Abgeordneten nicht sonderlich wahrscheinlich, und so verbannte selbst die parteieigene Zeitung L'Unità die Initiative auf eine hintere Seite.

Nun scheint die Sache plötzlich doch ernsthaften Charakter anzunehmen – weniger, weil sich „irgend jemand vor Occhettos Tönen fürchten könnte“, so L'Espresso – als vielmehr, weil innerhalb der Regierungskoalition unvermutet noch tiefere und noch weniger kittbare Risse auftauchen als bisher schon sichtbar.

Zwar hat Amato in seiner erst sechsmonatigen Regierungszeit wenigstens notdürftige Kleisterarbeit an den Erzübeln des Landes geleistet – der rasante Verfall der Lira scheint mittlerweile gestoppt, die öffentlichen Finanzen sind zwar nicht saniert, aber auch tiefer in die roten Zahlen gerutscht, im Kampf gegen Mafia-Clans und andere Untergrunderscheinungen gibt es wenigstens ein paar vorzeigbare Erfolge. Doch just aus Amatos eigener Partei, so jedenfalls der vor drei Monaten neu gewählte Chef des Regierungs-Seniorpartners Democrazia Cristiana, Mino Martinazzoli, kommt nun die „größte Gefahr für die Koalition“: soeben ist bei der Parlamentsspitze der Antrag Mailänder Staatsanwälte auf Aufhebung der Immunität des sozialistischen Parteichefs Bettino Craxi wegen Verdachts der Korruption, der Hehlerei und des Verstoßes gegen das Parteienfinanzierungsgesetz in 22 Fällen eingelaufen. Zahlreiche Mitglieder der Sozialistischen Partei (PSI), auch innerhalb der Regierung, möchten ihren Craxi deshalb loswerden.

Der aber will nicht vor dem anstehenden Parteitag – vorgesehen für spätestens Ende Januar – abtreten und auch dann nur Platz machen, wenn ein ihm genehmer Nachfolger gewählt wird. So könnten, vermutet DC-Martinazzoli, bei anstehenden Abstimmungen im Parlament sogenannte „Heckenschützen“ (Stimm-Abweichler) aus der PSI die sowieso nur hauchdünne Mehrheit von acht Stimmen gefährden. Martinazzoli hat, einerseits aus Rache für frühere Demütigungen durch Craxi, andererseits wohl auch, weil er seine Truppe selbst nicht ganz im Griff hat, seinen Volksvertretern freigestellt, ob sie für oder gegen die Aufhebung der Immunität Craxis stimmen.

Innerhalb des Parlaments laufen bereits seit Wochen die Initiativen zur „Regelung“ der mittlerweile auf mehr als drei Dutzend angestiegenen Ermittlungsverfahren gegen Abgeordnete und Senatoren. Die vor allem davon betroffenen Christdemokraten und Sozialisten möchten das Parteiengesetz abmildern und so ihre in die Schußlinie geratenen Politiker mit geringen Strafen – möglichst ohne Haft – davonkommen lassen, während die Oppositionsgruppen, aber auch die kleineren Regierungsparteien (Liberale und Sozialdemokraten) alles, was nach Selbstamnestie aussieht, ablehnen.

Gleichzeitig stehen wichtige Entscheidungen über Verfassungsänderungen bevor, über die sich die Regierungsallianz auch herzhaft zerstritten hat. Während Christdemokraten ebenso wie die oppositionelle Großpartei PDS gerne ein reines Mehrheitswahlrecht hätten, das naturgemäß ihre Kandidaten bevorzugen würde, möchten die meisten Sozialisten ebenso wie einige kleinere Oppositionsparteien nicht vom Verhältniswahlrecht lassen, das ihnen bessere Aussichten für den Einzug in die Deputiertenkammer und den Senat bietet.

All das schwemmt nun unvermittelt PDS-Occhettos „Mißtrauensvotum“ ganz nach oben, zumal nun plötzlich bisherige Erzgegner beider Parteien, von den oberitalienischen „Ligen“ bis zu den Grünen, Verhandlungsbereitschaft für eine Alternative zur derzeitigen Koalition zeigen. Bedingung der Allianz-Bereiten ist allerdings, daß die künftige Regierung nicht aus Parteivertretern besteht, sondern aus sogenannten „Technikern“, Fachleuten des jeweiligen Ressorts also, die für eine Übergangszeit mehr kundig verwalten denn gestalten und ansonsten denkbare Alternativen für künftige Entscheidungen vorbereiten sollen.

Italiens Konstitution böte dafür sogar eine Möglichkeit: Der Staatspräsident, sonst eher ein reiner Repräsentant, kann in einer Art Notstandskabinett den Vorsitz übernehmen und die Minister direkt auswählen, ohne Einverständnis der Parteien und ohne die Herausbildung einer festen Allianz abzuwarten.

Amato und die Sozialisten fürchten derlei freilich wie der Teufel das Weihwasser: Es würde bedeuten, daß ihnen, nachdem schon die Wähler ihnen einen Denkzettel verpaßt haben, (ihre Stimmenanteile bei den letzten Teilwahlen im Dezember haben sich überall halbiert), nun auch noch die herkömmlichen Pfründe in Ministerien und den über die Regierung zu besetzenden lukrativen Staatsstellen in Firmen der öffentlichen Hand verlorengehen.

So sehen die meisten Regierungsozialisten die Zukunft der Administration Amato eher ungewiß. Am pessimistischsten erweist sich der PSI-Vorständler und ehemalige Finanzminister Rino Formica, einst Craxis Ziehvater und heute eine Art graue Eminenz der Partei. Er konstatiert knapp und unverblümt: „Endstation“.