: Solidarpakt: Geißler gibt Kohl Zunder
■ Geißler gegen soziale Kürzungen mit der „Heckenschere“/ Wiedereinführung des Solidarzuschlags zeichnet sich ab
Bonn (AFP/dpa/taz) – Ein Brief von Heiner Geißler an die Unionsabgeordneten, in der er das Vorgehen der Bundesregierung beim Solidarpakt kritisierte, hat Kanzler Kohl schwer verärgert. Der stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion schreibt, „daß Kürzungen von Sozialleistungen mit der Heckenschere das Klima vergiften, der Union als Volkspartei schaden und den Solidarpakt gefährden“. Indirekt kritisierte er auch die Verhandlungsführung von Kohl und Waigel. Man müsse sich fragen, „ob es klug war, wenige Tage vor Weihnachten mit den Sozialdemokraten eine Streichliste von Sozialleistungen zu erörtern, weil man wissen mußte, daß die SPD so etwas sofort auf den Markt bringt“, so Geißler. Er bemängelte auch, daß der Bundesfinanzminister die „internen Kürzungsvorschläge“ durch eigene Interviews autorisiert habe, ohne sie mit den zuständigen und verantwortlichen Sozialpolitikern der Fraktion zu erörtern. Kohl bezeichnete Geißlers Rolle vor dem Fraktionsvorstand als „unerträglich“. Wenn dieser eine andere Koalition wolle, solle er dies sagen.
In seinem Brief schlug Geißler weiter vor, einen auf vier oder fünf Jahre befristeten, degressiven Solidaritätszuschlag von sieben Prozent einzuführen. Dies brächte Mehreinnahmen von jährlich mindestens 22 Milliarden Mark. Die Wiedereinführung des Solidaritätszuschlags findet in der Union immer mehr Befürworter. Auch FDP-Chef Otto Graf Lambsdorff erklärte, eine Wiedereinführung von 1995 an sei „das Vernünftigste“. Der nordrhein-westfälische Finanzminister Heinz Schleußer (SPD), der mit drei weiteren Länderfinanzministern und Waigel in der Arbeitsgruppe „Föderales Konsolidierungskonzept“ (FKK) berät, rechnet bereits für 1994 mit dem Solidariätszuschlag und zwar in Höhe von zehn Prozent. Bundesfinanzminister Waigel lehnt zumindest für die Zeit vor 1995 eine Wiedereinführung jedoch ab.
Die schleswig-holsteinische Finanzministerin Heide Simonis, ebenfalls Mitglied der FKK-Arbeitsgruppe, meldete Zweifel an, ob der von der Bundesregierung abgesteckte Zeitplan für den Solidarpakt einzuhalten sei. Sie stellte auch klar, daß Bund und Länder bei der Frage der Finanzierung des Solidarpakts und der Verteilung der Mittel für den neuen Länderfinanzausgleich ab 1995 weiter voneinander entfernt sind, als es der Bundesfinanzminister darstellt. Es sei keineswegs akzeptabel, daß die Länder außer den Transferzahlungen nach Ostdeutschland, die jährlich 100 Milliarden Mark ausmachen sollen, sich auch noch an der Bewältigung der 55 Milliarden Bahn-Schulden und anderen Lasten beteiligen. Entgegen Waigels Angaben hieß es aus FKK-Teilnehmerkreisen, daß nicht einmal Einigkeit über den jährlichen Gesamttransfer nach Ostdeutschland bestehe.
Nach weiteren Gesprächen mit Gewerkschaften und der Wirtschaft in dieser Woche wollen die Koalitionsfraktionen nächsten Dienstag Positionen festlegen, die als Ausgangslage für Gespräche mit der Opposition dienen sollen. win
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