: Keine Lust auf Maßstabsbruch
■ 160 Jahre alte Kutscherhäuser am Grindelberg werden abgerissen
werden abgerissen
Als Jörg Nelte am 3. Dezember seine Räumungsklage gegen die Meier-Wirtin Sylvia Borcharts gewann, kam er abends in ihre Kneipe, um seinen Sieg zu feiern. „Ich fand das ein bißchen geschmacklos“, erinnert sich Sylvia Borcharts. Immerhin hatte der stadtbekannte Immobilien-Spekulant gerade ihre wirtschaftliche Existenz zerstört. Nelte sei bis zum Schluß geblieben, habe die ganze Zeit mit ihr diskutieren wollen. Wenigstens habe er eine recht ordentliche Zeche gemacht.
Seit Neujahr ist das Meier geschlossen, bis zum 7. Januar blieb der Wirtin noch Zeit, die Kneipe zu räumen. Vorgestern dann wurde mit dem Abriß der sogenannten Kutscherhäuser am Grindelberg 73/75 begonnen. 160 Jahre standen sie am Rand der Chaussee, die einst Altona und Hamburgs Norden mit Pinneberg verband – ein Fall für den Denkmalschutz.
„Wir haben gekämpft, wir haben verloren“, sagt Hans Markus Thomsen von der Bürgerinitiative zum Erhalt der Kutscherhäuser. Was er allein an Telefonkosten in diese Geschichte investiert habe, das würde ihm niemand ersetzen. Der Journalist ist einer von zwölf Stammgästen, die vor einem Jahr Himmel und Hölle in Bewegung setzten, um zu verhindern, daß ihre geliebte Kneipe geschlossen wird. Mit dem Denkmalschutzamt wurde geredet und ein Architekt angeheuert, der alternative Bebauungspläne entwickelt hat. Das Haus hätte man stehenlassen, die Nelte- Wohnungen dahinter bauen können. „Im Endeffekt“, sagt Hans
1Markus Thomsen, „hätte der Bezirk einen neuen Bauerrichtungsplan verabschieden müssen“. Dann hätte Nelte die Möglichkeit gehabt, vom Kaufvertrag zurückzutreten und das Denkmalschutzamt die Chance, das Haus zum Zeitwert zu erwerben. Doch die Stadtplanungsabteilung im Bezirk Eimsbüttel, obwohl nur wenige hundert Meter vom Objekt entfernt, hätte „wohl keine Lust dazu gehabt“.
Keine Frage, die um 1830 erbauten Häuser sind denkmalschutzwürdig. Vis-à-vis der Grindelhochhäuser wirken sie grotesk klein, ein reizvoller „Maßstabsbruch“ wie auch Volker Konerding vom Denk-
1malschutzamt betont. Doch das Hamburger Denkmalschutzgesetz ist eine Kann-Vorschrift. Weil das Haus in einem schlechten Zustand war und ein Erhalt wirtschaftlich nicht zumutbar gewesen sei, habe man die Sache fallengelassen. Auch Konerding bedauert, daß eine Zusammenarbeit mit der Stadtplanungsabteilung nicht zustande kam. Im Bezirksamt Eimsbüttel ist mittlerweile die Bauprüfabteilung zuständig. Erhalt zu teuer, Gebäude zu kaputt, heißt es auch dort.
Es hätte noch eine Möglichkeit gegeben, Jörg Nelte den Neubau seiner 50 Eigentums-Wohnungen zu vereiteln. Der gültige Bebau-
1ungsplan schreibt eine viergeschossige Bebauung vor. Doch der Kerngebietausschuß Eimsbüttel stimmte mit Ausnahme der GAL dem Vorbescheidsantrag für eine siebengeschossige Bebauung zu. Also nix mehr mit Maßstabs-Bruch.
„Nelte Spekulant“ steht auf weißen Plakaten, die am Kutscherhaus kleben. Sylia Borchart nimmt ihren ehemaligen Gast in Schutz: Das Haus sei seit 30 Jahren Spekulationsobjekt gewesen. „Herr Nelte ist bestimmt kein netter Mann“, aber daß das Haus der Abrißbirne zum Opfer fällt, sei auf die Trägheit der Behörden zurückzuführen. kaj
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