: Eigenwillig, cool, melancholisch
„Simple Men“, ein Film über die älteste Geschichte der Welt von Hal Hartley ■ Von Christiane Peitz
Der Satz fällt beim Billardspiel. „Sie bewegen sich nicht von selbst.“ Gemeint sind die Kugeln. Man muß sie anstoßen, um das Spiel in Gang zu setzen.
Keine Bewegung: das sagt Bill, der Gangster, am Anfang zu dem gefesselten Beamten. Dann verläßt ihn seine Freundin. Keine Bewegung: das sagt auch am Ende der Beamte zu Bill bei dessen Verhaftung. Bill legt seinen Kopf auf die Schulter von Kate, der Frau, die er liebt. Er wird sie nicht verlassen. Deshalb hat er die Flucht aufgegeben.
Zwischen diesen beiden Sätzen setzt Hal Hartley sein Kino in Gang. Ein Kino der Regungen, aber ohne Action. Wortkarg, aber beredt. Kein Wort zuviel, kein geschäftiger Schwenk, kein überflüssiges Requisit. Leere Cafés, schlichte Konstellationen, Grundfarben: Rot, Gelb, Blau. Knappe Wortwechsel, die Dialoge nehmen sich aus wie ein rhythmischer Schlagabtausch. Klack. Klack. Gesten provozieren Handlungen, Figuren nähern sich einander und entfernen sich wieder. Ein Film wie ein Billardspiel.
Nichts versteht sich von selbst. „Simple Men“ ist reines Kopfkino, intelligent, nüchtern, präzis. Auf den ersten Blick jedenfalls. Aber die Reduktion geschieht nicht um ihrer selbst willen, Hal Hartley ist kein Purist, sondern ein Romantiker und „Simple Men“ ein altmodischer Film, der die großen Kinothemen nicht scheut, der von der Liebe erzählt und vom Verrat, von Sehnsucht und Gewalt, von persönlichen und politischen Passionen.
Dennis, der Student, sucht seinen Vater. Bill, sein älterer Bruder, der Gangster, flieht vor der Polizei. Sie haben noch zwanzig Dollar, das reicht für zwei Fahrkarten von New York nach Lindenhurst, Long Island. Dort treffen sie zwei Frauen, Elina und Kate. Elina hat manchmal epileptische Anfälle, Kate will Bäume pflanzen. Alle Arten von Bäumen. Sie zählt die Namen auf wie ein botanisches Lexikon. Bill hat beschlossen, die nächstbeste Frau zu verführen und sie dann zu verlassen. Er probiert es mit Kate. Und verliebt sich in sie. Dennis hat Angst, daß sein Vater, ein gesuchter Anarchist, bei einem Bombenattentat Menschen getötet hat.
Er muß wissen, ob der Vater ein Held ist oder ein Mörder. Elena hat Angst, daß der Vater der beiden ohne sie geflohen ist: Sie ist seine Freundin. Bill hat Angst, verhaftet zu werden. Und Kate hat Angst vor ihrem Ex-Mann Jack, einem Psychopathen, der gerade aus dem Gefängnis entlassen wurde. Die Angst macht sie einsam und führt sie zusammen. Aus ihr entspringt die Anziehungskraft.
Ein Mann streicht sich über die Wange. Eine Frau stampft beim Tanzen mit den Füßen auf. Manchmal enthüllt sich das Wesen einer Person allein in der Art, wie sie an der Zigarette zieht.
Man kann sehen lernen in diesem Film: jede Geste eine Sensation. Derart konzentriert entfalten die Worte ihre Schönheit und ihre Komik, und die Leidenschaften leuchten wie Kleinode: lauter kostbare Funde. Hal Hartley, der 33jährige Regisseur aus Lindenhurst, einem Vorort auf Long Island, entdeckt das Kino neu und erzählt die älteste Geschichte der Welt wie zum erstenmal: die von Mann und Frau.
Es ist die Schwäche, die die Distanz überwindet. Die Kamera selbst bleibt scheu, respektiert das Geheimnis der Figuren, fängt nebenbei ein Profil ein oder eine Gangart, probiert Paarungen: Bill und Kate, Dennis und Elina, Kate und Elina, Dennis und Bill. Keine Nahaufnahmen, nur Halbtotalen. Vielleicht macht das Hal Hartleys Helden so begehrenswert, Männer wie Frauen: daß er ihnen den Freiraum läßt. Lindenhurst: ein Niemandsland. Erwachsensein, erzählt dieser Film, heißt, sich für einen andern entscheiden und wissen, daß Nähe eine Anstrengung ist.
Sie reden über Popmusik, Madonna, Sexualität und Ausbeutung. Die Sätze klingen wie Songtexte, eigenwillig, cool, melancholisch. So tanzen sie auch, nachts, in Homer's Oyster Bar, Jacks Hinterlassenschaft für Kate. Der erste Schritt ist immer unbeholfen.
Eine Nonne prügelt sich mit einem Cop. Ein Polizist philosophiert über Sicherheit. Und der Tankstellenwart spielt zwischen den Zapfsäulen Greensleeves auf der E-Gitarre: altenglische Renaissance-Musik im Jimi-Hendrix-Stil. Außerdem lernt er Französisch, wegen des Mädchens im Deli- Laden. Er hält sie für eine Französin, dabei ist sie Italienerin; er hat sich geirrt. Die ganze abendländische Kultur eines Mädchens zuliebe und das auch noch umsonst. Es ist die Selbstironie, die Hartleys Kino vor dem Kitsch schützt und vor der Prätention.
Hal Hartley: „Simple Men“, Kamera: Michael Spiller, Musik: Ned Rifle, mit Robert Burke, William Sage, Karen Sillas, Elina Löwensohn, Martin Donovan, USA 1991, 98 Min.
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