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Rhythmus des Herzflimmerns

■ Louis Malles neuer, hypnotischer Film „Verhängnis“ mit Juliette Binoche

Zwischen zwei Sätzen kann ein Film entstehen: „Ich muß dich haben.“ „Ich weiß.“ Eine fulminante sexuelle Begegnung zwischen Zimmer und Küche: „Verhängnis“ ist ein erotischer Film, der sein Sujet nicht versteckt oder benutzt im Dienste eines anderen Themas. Seine Erotik hypnotisiert und macht uns bereit für eine fatale und spannende Geschichte, die im wesentlichen darin besteht, uns immer tiefer in das familiäre Geflecht der Figuren einzuführen.

Stephen Fleming (Jeremy Irons) ist Staatssekretär, er hat eine attraktive Frau und zwei Kinder. Sein verhängnisvolles Glück ist Anna (Juliette Binoche), die Freundin seines Sohnes Martyn. Die Geschichte ist vollkommen abhängig von der Glaubwürdigkeit dieser Kollision, die unbedingt geheim bleiben muß.

Louis Malle hat bis in die Nebenrollen hinein brillante englische Schauspieler gefunden, und er hat eine wundervolle Entscheidung getroffen, als er Jeremy Irons, der seine schauspielerische Kraft aus einem Stil genauer Aneignung zieht, Juliette Binoche entgegenstellte, deren filmische Präsenz mit ihrem puren Dasein zusammenfällt.

Die Darstellung der Anna ist eine Sensation, der Triumph einer jungen französischen Schauspielerin. Ihre dunkle Schönheit erinnert mitunter an Isabella Rosselini; aber wo jene weiblich ist, hat die Binoche fast androgyne Züge. Ihr Gesicht ist verschlossen, maskenhaft und zugleich völlig transparent, es ist ebenso hart wie zerbrechlich. Die stets mit etwas Pomade nach hinten gebändigten kurzen Haare, die enge Kleidung lassen ahnen, daß da etwas zusammengehalten wird, das in jedem Augenblick losgelassen werden und die größte Freiheit ausstrahlen kann. Der kleine Körper, der fast etwas Robustes hat, vervollständigt das Paradox von Stabilität und Fragilität. „Menschen, die verletzt worden sind, sind gefährlich, denn sie wissen, daß sie überleben können“ ist ihre Warnung an Stephen, die viel zu spät kommt.

„Verhängnis“ ist ein Film der Oberfläche, erlesener Dekors und stilvoller Kostüme. Die Genauigkeit, mit der die Kamera vorsichtig die Außenflächen der reichen Welt abtastet, ist die Voraussetzung für die prekäre Spannung der Geschichte.

Jeder Begegnung, jedem Arrangement, jedem Wort und jeder kleinen Verschiebung haftet etwas Gefährliches an, die Angst, daß alles in der nächsten Sekunde zusammenstürzen kann.

Anna hat eine seltsame Vorgeschichte: Ihr Bruder hat sich umgebracht, weil er seine Schwester liebte. Bei einem Essen erzählt Annas Mutter, Martyn sei ihrem Bruder sehr ähnlich. Fast deutet Malle hier zuviel an, den Inzest, die Schuld und die Wiederholung, die sich ankündigt. Aber wir sollen uns nicht in psychologische Nachforschungen vertiefen, sondern den Schauder genießen, den die Worte in dieser Situation bei den Akteuren auslösen.

Francois Truffaut lobte einst Malles absoluten Takt und perfekten Geschmack. Louis Malle hat seine ersten Filme bei Jacques- Yves Cousteau unter Wasser gedreht. Das spürte man, wenn ein Mädchen ihre Brust entblößte für ein Einhorn, das aus dem Mondschatten auftauchte. Laut- und schwerelos hat sich Louis Malle durchs Kino und seine Genres treiben lassen, von Kalkutta bis Atlantic City; unmöglich, ihn zu verankern als Autor oder an einem festen Platz im französischen Film wie seine Kollegen von der Nouvelle Vague.

Vieles in Malles Filmen ist merkwürdig flüchtig, vergänglich. Das ist der Preis, den die Erinnerung den Momenten abfordert, in denen seine Filme stillstehen oder ganz Bewegung werden: Das nächtliche Paris und Miles Davis' Trompete; ein Aufbruch im Morgengrauen und ein Satz, in dem die ganze Kraft des Kinos steckt: „Aus einem Blick kann Liebe entstehen“, oder Milou auf dem Fahrrad und die Musik von Stephan Grapelli; das ist nicht Takt, sondern Rhythmus, der gelegentlich von Synkopen angehalten wird, Herzflimmern. „Verhängnis“ ist eine lang angehaltene Synkope, deren Spannung anhält, bis ein Zufall Martyn in die Wohnung führt, wo sich sein Vater und Anna heimlich treffen. Vor dem, was er dort zum ersten Mal sieht, weicht er zurück und stürzt in die Tiefe des Treppenhauses.

Ein bizarrer Epilog in der Toskana nimmt diesem Tod jede befreiende Wirkung. Stephen hat sich aus seiner Welt zurückgezogen. Er steht allein vor einem riesigen Bild, der Vergrößerung eines Fotos, das ihn mit Martyn und Anna zeigt. Eine Erzählstimme hebt den Zauber von Annas Erscheinung wieder auf: Einmal habe Stephen sie wiedergesehen, sie habe ihn nicht erkannt, und sie sei ihm nicht anders vorgekommen als all die anderen Frauen. Aber das kann der Film natürlich nicht zeigen. Rolf Schüler

Louis Malle: „Verhängnis“. Buch: David Hare nach dem Roman von Josephine Hart. Kamera: Peter Bizan. Mit Jeremy Irons, Juliette Binoche, Miranda Richard. Frankreich/GB 1992, 110 Min.

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