piwik no script img

Eine Unterschrift als Dienstvergehen

■ Wegen eines Aufrufs zur Freilassung des RAF-Gefangenen Rößner soll ein Beamter für den Polizeidienst untragbar sein

Berlin (taz) – Jürgen Korell ist seinen Kollegen kein Unbekannter: Er ist nicht nur Mitglied der „Arbeitsgemeinschaft kritischer Polizisten und Polizistinnen“, er gibt auch deren Zeitschrift Unbequem heraus. „Unbequem“, urteilt auch das Wiesbadener Polizeipräsidium, das den Kriminalhauptmeister schlicht als für den Polizeidienst „untragbar“ bezeichnet. Zu diesem Ergebnis kommt ein Schlußbericht, den das Polizeipräsidium Mitte Dezember im Rahmen eines „Vorermittlungsverfahrens“ fertigen ließ.

Weil sich der Kriminaler Korell an einer Sitzblockade vor der Hanauer Niederlassung der Firma Siemens beteiligte, urteilt der „Vorermittlungsführer“ Bernt Reith, werde „Korell nicht dem Vertrauen auf die Erfüllung seiner dienstlichen Pflichten gerecht“. Bei ihm handele es sich schließlich um einen Beamten, „der den gesetzlichen Auftrag hat, Straftaten zu erforschen und zu verfolgen. Diese Verpflichtung, auf die KHM Korell auch seinen Diensteid abgelegt hat, kollidiert ganz erheblich mit der Begehung eigener Straftaten.“

Gravierender noch wertet das Polizeipräsidium die „Solidarisierung“ Korells mit „einem rechtmäßig verurteilten RAF-Täter“. In dem Bericht vom 17.Dezember heißt es: „Im besonderen Maße bedenklich ist die Mitunterzeichnung des KHM Korell zur Freilassung des RAF-Häftlings Bernd Rößner, veröffentlicht in der taz vom 14.4. 1992.“ Ein Polizeibeamter stelle sich außerhalb seiner im Diensteid übernommenen Verpflichtungen, wenn er sich für einen RAF-Gefangenen einsetze, „dessen Ziel die Zerschlagung des Staates war, den der Polizeibeamte zu schützen geschworen hat“.

Last but not least schlußfolgerte der Vorermittlungsführer: „Die Solidarisierung mit den im Schreiben enthaltenen Aussagen über die mangelnde Bereitschaft zum Abschwören von Zielen der RAF durch Bernd Rößner lassen den Schluß zu, daß KHM Korell sich mit diesen Zielen identifiziert, was wiederum zum Vertrauensbruch im Verhältnis des Dienstvorgesetzten zum Beamten zu sehen ist.“ Ergo: „Dieser These folgend wäre der Beamte Korell für den Dienstherren untragbar.“

In einer Stellungnahme zum Schlußbericht drückt der „kritische Polizist“ seine Verwunderung darüber aus, daß er im Zusammenhang mit der Sitzblockade einer Straftat beschuldig wird. Dies sei bislang vor Gericht noch gar nicht geklärt worden; der Kollege Ermittlungsführer sollte eigentlich wissen, „daß ein Ermittlungsverfahren nicht mit einer Verurteilung gleichzusetzen ist“.

Unverständlich sei in der Argumentation auch, daß allein schon mit einer Straftat „eine Kollidierung mit dem Diensteid gesehen wird“. Werde dieser Maßstab auch bei Kollegen angewendet, „die wegen Trunkenheit im Straßenverkehr, fahrlässiger Tötung oder gefährlicher Körperverletzung verurteilt wurden?“

Korell wiederspricht auch der Behauptung, er habe sich mit einem RAF-Gefangenen solidarisiert. Die Formulierung im Schlußbericht sei einfach „Blödsinn und entbehrt jeder Grundlage“. Er lehne Gewalt zur Durchsetzung politischer Ziele ab – mit seiner Unterschrift unter den Appell für eine Haftentlassung des kranken Gefangenen habe er dokumentieren wollen, „daß mir der Rachegedanke fern ist, daß es mir ausschließlich um die menschliche Seite geht“.

Korell irrt zwar, wenn er in seinem Schreiben zu seiner Verteidigung anführt, daß Rößner inzwischen vom Bundespräsidenten begnadigt wurde. Solche Überlegungen gab es, am Ende wurde Rößner aber nur eine eineinhalbjährige Haftverschonung auf Veranlassung durch die Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger gewährt. Der Gedankengang Korells ist indessen richtig: Hat die Bundesjustizministerin am Ende damit gegen ihren Amtseid verstoßen? Man darf auf den Ausgang des Disziplinarverfahrens hoffen. Wolfgang Gast

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen