■ Tour d'Europe
: Unbewohnbar

Pestizide im Gemüse, Hormone im Fleisch, Quecksilber in den Fischen, radioaktive Strahlung im Wild und Glukose im Wein sind den meisten EuropäerInnen des ausgehenden 20. Jahrhunderts zu Alltagserscheinungen geworden. Selten sind die Tage, an denen es keine neuen Nahrungsmittelskandale zu vermelden gibt. Manche hatten bereits katastrophale Folgen, wie 1981 die Verbreitung von gepanschtem Öl in Spanien, das siebenhundert Menschen den Tod brachte und bei rund fünfundzwanzigtausend zu teilweise schweren Erkrankungen führte. Bei anderen Giften – wie dem besonders in Großbritannien grassierenden „Rinderwahnsinn“ – sind die Langzeitwirkungen auf Menschen noch unbekannt.

Doch die Liste gefährlicher Lebensmittel nimmt sich geradezu harmlos aus gegenüber den – ebenfalls menschengemachten – Verwüstungen, die ganze europäische Regionen in Gesundheitsrisiken verwandelten. Jenseits der auf Jahrzehntausende verstrahlten Umgebung des Reaktors von Tschernobyl hat die europäische Zivilisation noch zahlreiche weitere Kahlflächen geschlagen. Besonders betroffen ist der Osten des Kontinents.

Ein Beispiel ist die nordrumänische Stadt Baia Mare. Angezogen von dem damals noch notorisch blauen Himmel ließ sich dort Anfang des Jahrhunderts eine Künstlerkolonie nieder. Das Ceaușescu- Regime siedelte später eine Schwefel-, Blei- und Kupferhütte in Baia Mare an. Heute ist das einstige Idyll seinen eigenen BewohnerInnen zur Falle geworden – ihre durchschnittliche Lebenserwartung beträgt gerade noch vierundfünfzig Jahre. Ähnliches geschah in der Bergbauregion Nordböhmens. Dort haben die Schadstoffemissionen aus den Kohlekraftwerken die durchschnittliche Lebenserwartung um sieben Jahre gesenkt. Völlig unbewohnbar ist heute die Insel Nowaja Semlja im Polarmeer. Dort hat die Sowjetunion bis Anfang der neunziger Jahre ihre Atomwaffen getestet. In den umliegenden Gewässern liegen zahlreiche Schiffsreste der sowjetischen Atommacht strahlend am Meeresboden. Die Fischer in Nordnorwegen rechnen mit fatalen Konsequenzen für ihr Fanggebiet. In der Region um die lettische Hauptstadt Riga hat die Schwerindustrie die Luft massiv verschmutzt. In den letzten zehn Jahren stieg in Riga die Zahl von Schwangerschaftskomplikationen um das Zehnfache, während dreimal mehr behinderte Kinder zur Welt kamen. Drastisch angestiegen sind gleichzeitig Hautallergien und asthmatische Probleme bei Kindern.

Die den baltischen Staaten vorgelagerte Ostsee hat längst den Weg aller europäischen Meere genommen. Zu den dreihunderttausend Tonnen Chemiewaffen, die seit dem Zweiten Weltkrieg auf ihrem Grund ticken, kamen seither unzählige Einleitungen mit ungeklärten, strahlenden und hochgiftigen Abwässern hinzu. Meeresbiologen attestierten der Ostsee, daß sie ab neun Meter Tiefe „klinisch tot“ sei. dora