: Ein Fehler im System
Über Kunst, die gekauft wird, getauscht wird oder liegenbleibt. Galeristen, überfordert, auf der Suche nach dem „Diskurs“. Und über einen weiteren Aachener Sammler namens Wilhelm Schürmann, der es hält wie Schwarzenegger. Beobachtungen in Köln, im Kontor und in den Köpfen derer, die für die Krise glauben gerüstet zu sein. ■ Von Harald Fricke
Kunst kommt mit dem Geld. Deshalb spielten Sammler und Museen eine gewichtigere Rolle im Kulturverständnis als der Künstler oder die Kritik. Diese klare Sicht auf das sonst so stumme Werk entstammt nicht der Pop-art, sondern ist von den kritischen Systemanalytikern der Minimal art 1967 propagiert worden: ein Kunstwerk verstehen heißt es besitzen. Die doppeldeutige Botschaft ist 25 Jahre danach angekommen; laut „Kunstkompaß“ des Wirtschaftsmagazins Capital führt mit Bruce Nauman tatsächlich ein Protagonist der Minimal art die Top ten der größten lebenden Künstler an, vor Georg Baselitz und Gerhard Richter. Sieg der Wertereformer.
Zusätzlich liefert die Hitliste der Moderne „Auskünfte über die relative Preiswürdigkeit der einzelnen Künstler und bietet somit Sammlern eine Orientierungs- und Entscheidungshilfe“. Die Plazierungen erschienen nicht ganz zufällig in der Woche vor der Kunstmesse in Köln.
Nauman wird von der Fachzeitschrift für Wirtschaftskräfte im Preis-Leistungs-Verhältnis seiner „verstörenden Installationen“ als „sehr günstig“ eingestuft, doch auf der Art Cologne zeigte man nur wenig Interesse an der frohen Kunde vom Wertzuwachs des klassischen Minimalisten. Nach dem rasanten Umsatzrückgang von beinahe 60 Prozent auf der Pariser FIAC-Messe und dem derzeit anhaltenden Galeriensterben nicht nur in Köln und Berlin, zittert sich der Kunstmarkt durch die Rezession. Vielleicht hat sich die Botschaft vom Besitzen als Verstehen von selbst erledigt: Wohin mit all der Kunst, wenn das Geld fehlt?
Dabei verwundert es kaum, daß dieselben Künstler, Kunstwerke und Marktstrategien, die die offizielle Art Cologne dominieren, im Dutzend auch auf der „Unfair“ zu finden sind, einer alternativen Leistungsschau im Lower-Eastside- Flair am hippen Kölner Industriegürtel. Nur die symbolische Konkurrenz der beiden Unternehmungen ist groß, der Markt bleibt derselbe. In ihrem Grußwort bei der Off-Messe-Eröffnung wies die Kölner Galeristin Tanja Grunert die Gäste noch einmal inständig darauf hin, daß man doch vor allem auch zum Kaufen gekommen sei. Der Aufruf klang ein wenig hilflos und ging im Gedränge am Bierausschank unter.
Was die Generation zwischen 30 und 40 macht
Keine Frage, die großen Parties bleiben im Galerieraum Mittel zum Zweck, doch der groß angelegte Kunstkonsum des kulturbeflissenen Yuppietums ist an seine Grenzen gelangt, und auch die Direktoren finanzkräftiger Museen ziehen nicht bei der Bändigung der Ereigniskultur nach, die mit dem Abgang der Popästhetik in den Strudel des allgemeinen Ausverkaufs geraten ist. „Aus den Rheinischen Museen ist keiner zur Eröffnung der ,Unfair‘ erschienen“, grollt Christian Nagel, dessen Galerie an der „Unfair“ mitbeteiligt ist. Trotz eines relativ soliden Programms aus malenden Anti-Malern, die er in seiner Koje zeigt, hat Nagel in den letzten vier Jahren einen Großteil der jüngsten Avantgarde durch seine Galerie geschleust, was die öffentlichen Institutionen seiner Meinung nach gänzlich verschlafen haben: „Der Museumsmann sitzt in einer musealen Position, die eigentlich dem 19.Jahrhundert entspricht. Er macht keine Anstalten, auf einen Diskurs zu kommen. Ich weiß wirklich nicht, wer in deutschen Museen Texte zur Kunst liest, oder warum neue Kunst nicht gekauft wird. Aber wie sollen Leute, die vier Jahre an etwas hinpromovieren, das nachher 27 andere lesen, wie sollen diese Kunsthistoriker dann fähig sein, in eine Betriebsstruktur hineinzuwachsen, die ganz anders konzipiert ist? Selbst hochkarätige Museumsleute wie Harald Szeemann oder Rudi Fuchs haben in ihrer Entwicklung abgeschlossen. Die stellen heute aus, was sie seit 30 Jahren kennen, und nehmen dann noch etwas Zeitgenössisches als Alibifunktion hinzu. Aber welches deutsche Vorstandsmitglied, welcher Manager könnte sich heute erlauben zu sagen: Ich weiß nicht mehr, was die Generation zwischen 30 und 40 tut.“
Das schroffe Abkanzeln des behäbigen Museumsbetriebs mag zum Teil begründet sein. Obwohl tatsächlich sich die vierteljährig erscheinenden Texte zur Kunst als seminaristisches Kompetenzblatt selbst auf der offiziellen Messe behaupten können und eine ganze Reihe Museums- und vor allem Kunstvereinsmacher im „Diskurs“ mit der Kölner Kunstkritik leben, ist damit noch kein einziges Bild verkauft. Das eine ist das eine, das andere das Geschäft. Gerade der Generation, zu der auch Christian Nagel gehört, ist aber die Kommerzialisierung des Kunstbetriebs über den Kopf gewachsen. Jetzt, wo die Kunst endgültig als Wirtschaftsfaktor etabliert ist, ihre Binnenstruktur sich nach Marktgesetzen ermittelt und in Zahlen ausdrückt, ist sie auch dem Prinzip von Angebot und Nachfrage ausgesetzt, für das die Museen keine Regulative mehr parat haben.
Ein ästhetischer Fundamentalismus
Der Tod der Kunst ereignet sich anders, als ihn Hegel gedacht hatte. Es gibt ganz einfach zu viele Bilder, und sie erfüllen zudem einen falschen Zweck. Wie einst die Automobilindustrie nach der Ölkrise hat es jetzt den Kunstmarkt erwischt. Dem unaufhaltsamen Theorieanstieg, der auf die neoexpressionistische Malerei folgte, kann kaum ein Kunstwerk standhalten. Der Dekonstruktivismus der Kritik verlängert darin letzten Endes nur den Richtspruch vom Scheitern der Kunst, den Adorno bereits für die Moderne postuliert hatte. In der Praxis sind die Beweggründe für den Wertverlust ungleich simpler als das Modell der zerredeten Intensität, das den Käufer hemmen könnte. Die deutschen Banken kaufen kaum noch Bilder, sondern bauen zunächst einmal Filialen im Osten auf, die frühestens im nächsten Jahrtausend dekoriert werden dürften. Durch diese Durststrecke müssen alle Beteiligten marschieren, aber nur wenige haben sich für die Wüste der schmucklosen Vereinigung gerüstet. Nach den Jahren des Booms der wilden Malermeister oder der Smart art von Künstlern wie Jeff Koons und anderen Innenausstattern müssen sich der Privatmann ebenso wie die Institutionen auf Problemkunst und kritische Kommunikationstheorie einstellen und dementsprechend neu organisieren. Dabei erweckt gerade Koons den Eindruck, daß die Verausgabung aller möglichen Werte sich gegen ihre eigene Absicht gewendet hat. Der Appropriationskünstler per se, der jedweden amerikanischen Mythos vom materiellen Glück bis zur sexuellen Ausschweifung als Werbeträger in Besitz genommen und benutzt hatte, verfällt nun im Tauschsystem seiner eigenen Strategie von der gedoppelten Realität. Der Sex eines anderen ist dem Käufer kaum noch einen Dollar wert.
Wo aber Koons nur einige Zeichen reproduziert hatte, gelingt einem Künstler wie Mike Kelly die Erneuerung der politischen Aussagekraft im Geiste der Kunstkritik. Der Wandel vollzieht sich auch gesellschaftlich in dem wiedererwachten Ideal des „New Deal“, der Absage an Bush und der Hoffnung auf jugendliche Helden. Als Anti- Star ergänzt sich Kelly hervorragend mit den Gitarrenheroen von Sonic Youth (deren letztes Cover er mit Teddybären illustriert), dagegen bleibt Koons als ausgeleierte männliche Position der Postmoderne übrig, die letztendlich einem Irrtum der Auslegung von Pop als Kultur aufgesessen ist. Madonna ergeht es derzeit ähnlich, wenn auch in einem Zuwachssektor.
Einige Galeristen arbeiten deshalb an einem erneuerten Programm für den aufkommenden ästhetischen Fundamentalismus. Trotz der Vernachlässigung durch die öffentliche Hand sieht Christian Nagel dabei bereits einen, wenn auch schwach schimmernden Regenbogen am Horizont aufkommen, der den Weg aus der Misere weist: „Die Avantgarde hat sich über den Kunstboom der achtziger Jahre, der die Theaterbau-, Freß- und Sexwelle abgelöst hat, bestätigt. Was Pop-art vorbereitet hatte, ging damals auf. Das war dann auch das Fatale daran, daß der Warencharakter dieser Kunst sich immer mehr in den Vordergrund gespielt hat und der Markt lief. Es war möglich, innerhalb eines Vierteljahres eine Neuentdeckung von 3.000 auf 40.000 Dollar zu pushen. Gleichzeitig gab es Wartelisten für Bilder von Baselitz oder Kiefer. Was allerdings in den Hintergrund geraten ist, war die Auseinandersetzung mit der Sache als solcher.“ Die Rückkehr zu den Grundlagen bedeutet für ihn vor allem eine Abkehr von der vormals vielgepriesenen, leicht zu entschlüsselnden Malerei der Neo- Expressionisten, die als Kunst identifizierbar und insofern auf einen garantierten Marktwert hin zu deuten wäre: „Es gab immer andere Tendenzen, wie Concept-art, wo ein schreibmaschinenbeschriebenes Blatt Papier nicht gleich als Kunst erkennbar war.“
Die ganz gewöhnliche Spekulation
Von dieser Entwicklung erhofft sich Nagel die Grundlagenarbeit beim Wiederaufbau. Eine Rückbesinnung auf interne Fragestellungen würde nicht nur den Markt mit eigenen, verbindlichen Wertmaßstäben konfrontieren und dadurch überschaubarer machen, sondern vor allem kunstinteressierte Käuferkreise von den unzäh
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ligen Zaungästen und Trittbrettfahrern trennen, die das Spektakel der letzten Jahre angezogen hatte. Schließlich hat die totale Mobilmachung durch das Kapital den Kunsthandel zur unrühmlichen Verkaufsveranstaltung umgestaltet und die Grenzen der Seriosität aufgeweicht. Die Berliner Galeristin Barbara Weiss fordert noch deutlicher Abhilfe, wenn sie eine größere Kompetenz von der Kundschaft verlangt: „Wir erfahren ja mittlerweile, daß beispielsweise in New York unheimlich viele Sammlungen bei den nächsten Auktionen von Sotheby's und Christie's aufgelöst werden. Große Sammlungen, bei denen Käufer auf Kunstmärkte und in Galerien gegangen sind und einfach jeden Saisonhit gekauft haben. Nun stoßen sie das Ganze wieder ab. Es ist ein Teufelskreis, aber man darf sich nicht auf investitionsstarke Sammler verlassen, die auf hochdotierte Kunst und das, was angesagt ist, aus sind.“ Diese Bedenken beziehen sich keinesfalls nur auf den Handel mit bekannten Meisterwerken der Moderne, deren Wert zwar als stabil eingestuft, dann aber auf Auktionen sensationell in die Höhe getrieben werden kann. Es geht um die ganz gewöhnlichen Spekulationen, Schiebereien und Absprachen, um Gebrauchtwarenhandel. Ein Künstler wird für eine Saison durch kaufwillige Sammler, gewitzte Galerien und devote Kritik zum neuen Star erklärt, worauf seine Arbeiten erdrutschartig über den gesamten Markt hereinbrechen, bevor am Ende der tatsächliche Wert wieder ins Bodenlose stürzt. So wurde das Spiel vor zwei Jahren mit Mark Kostabi gespielt, der als Enfant terrible bis ins „Aspekte“-Magazin herumgereicht wurde. Heute hat er seinen Platz im hintersten Winkel der offiziellen Messe gefunden. Auch der Niedergang von Koons ging mit einer solchen Abschlaffung auf dem Markt einher, dessen Ekstase der Künstler zuletzt selbst auf großformatigen Orgienbildern mit der italienischen Pornoqueen Cicciolina nachgespielt hatte. Koons ist mittlerweile ebenfalls out, statt dessen werden die „Happy Cock“-Hardcorestreifen mit Cicciolina (ohne Koons) am Messestand der Galerie Buchholz gehandelt, auf dem Ladentisch und unterhalb des offiziellen Verkaufspreises – im Sexshop.
Manche Sammler verhalten sich nicht anders. Der englisch-japanische Werbemulti und Großankäufer Saatchi&Saatchi hat sich im Laufe der achtziger Jahren zum Supermarkt unter den Kunstliebhabern gemausert. Dabei sind die Einkäufer in einigen Fällen unter öffentlichen Beschuß geraten. In Deutschland haben sich beispielsweise Museen zusammengetan, um zu verhindern, daß das Sammlerimperium weitere Anselm-Kiefer-Kontingente aufkauft. Schließlich war zu verhindern, daß ihm ein ähnliches Schicksal beschieden wäre wie zuvor Sandro Chia, dessen Arbeiten die Saatchis gleich stapelweise auf den Markt geworfen hatten, als den Sammlern ein Stilwechsel im Werk des Künstlers nicht gefiel. Sein Wert sank damit ins Bodenlose.
Der ideelle Gehalt – ersetzbar geworden
Andererseits wird auch der Nachwuchs bereits kommerziell gegängelt. So hat die Saatchi-Sammlung zuletzt einen Teil ihrer gerade erst erstandenen Arbeiten des Newcomers Damien Hirst verkauft, noch ehe der mit Fotoporträts aus der Pathologie schocksuchende Künstler überhaupt ins Licht der Öffentlichkeit gerückt ist. Auch Dissimulation ist eine Form der Politik. Der Einfluß der Werbefirma wirkt sich in England noch aus anderen Gründen fatal aus. Da es eine ständige Sammlung zeitgenössischer Kunst auf der Insel nicht gibt, bestimmt Saatchi die Avantgarde nahezu im Alleingang, wie der englische Galerist Simon Lee von Gimpel Fils berichtet: „Die Londoner Museen lassen trotz ihrer Aufgabe als Bildungsinstitution jegliche Informationen über aktuelle Kunst unter den Tisch fallen. Es gibt keine einzige ständige Sammlung. Diese Lage verschärft sich bei den wenigen Ausnahmen, die zeitgenössische Kunst einkaufen. Denn die Museumsleute lassen sich von Saatchi&Saatchi bei etwaigen Ankäufen beraten, die als Sammler ja ein merkantiles Eigeninteresse besitzen. Aber es fehlt der Öffentlichkeit an Vergleichsmöglichkeiten, um diese Interessen überhaupt zu erkennen. Dem Sammler aus Belgien sind diese Interna wiederum nicht bekannt. Er ist in seinem Kaufinteresse vielmehr verunsichert, weil die öffentlichen Häuser keine zeitgenössische Kunst zeigen, und er den Wert der von mir angebotenen Stücke nirgends prüfen kann.“ Der unstete An- und Verkauf hat bereits die Preise für eine Reihe von Künstlern aus der Zeit der „Neuen Wilden“ in den Keller stürzen lassen. Auf den Auktionen von Sotheby's und Christie's wurden Arbeiten von Walter Dahn für gerade einmal 2.400 Dollar gehandelt, ein ähnlicher Einbruch ist bereits für NeoGeo- und Kitschkunst abzusehen. Arbeiten werden ganz einfach wertlos, wenn sie aus der Mode kommen, ihr ideeller Gehalt uninteressant. Ersetzbar. Daher begeben sich Galerien und Künstler nicht nur in Klausur, um über bessere Bilder nachzudenken, auch ein neuer Käufertypus wird ins Auge gefaßt, der sich für Barbara Weiss folgendermaßen darstellt: „Mir sind Sammler am liebsten, zu denen man ein persönliches Verhältnis hat, die sich wirklich genau über die Arbeiten informieren und sehr engagiert sind, so daß man als Galerist nicht gezwungen ist, nun auf Teufel-komm-raus die Tapeten vollzuhängen, um das Geld einzuspielen.“ Christian Nagel entwirft davon unabhängig ein fast identisches Bild vom neuen Sammler: „Früher hattest du Flash-art- Titelbilder, und du konntest verkaufen. Das wirkt sich heute nicht mehr aus, die Überhitzung ist vorbei. Statt dessen gibt es Leute, die eine unheimliche Kompetenz in der Frage haben, was Kunst ist. Die Beschäftigung mit Kunst wird bei ihnen zur Arbeit, wenn auch nicht Profession.“
Sammler Schürmann: Jenseits der Rätsel der Kunst
Zumindest im Kölner Umfeld hat sich ein solcher Sammler gefunden. Der in Herzogenrath bei Aachen lebende Wilhelm Schürmann ist so etwas wie der stille Teilhaber und Pate im Hintergrund der Gegenmesse. Er entspricht allerdings nicht im geringsten den Vorstellungen vom friedlichen Förderer am Rande des Marktes, der am Diskurs mit interesselosem Wohlgefallen teilnimmt. Schürmann mischt sich in den Handel ein, er kauft nicht nur, er tauscht – weitsichtig und clever. Der Sammler ist selbst ein Teil des Marktes, aber anders, als es sich die Galeristen erträumt haben. Wenn ihm eine Arbeit nichts mehr sagt, wird sie abgestoßen und durch ein aktuelle Fragen aufwerfendes Exponat ersetzt, natürlich mit der Aussicht auf Gewinn – für zwei „in ihrer Selbstspiegelung aufgehende“ Wandobjekte von Reinhard Mucha wurden dem Sammler drei spektakuläre und „aussagekräftige“ (Schürmann) Cady-Noland-Arbeiten geboten: „Ich sehe nicht ein, warum in der Kunst mit solch einer Doppelmoral umgegangen wird: Kunst verkauft man nicht, es sei denn als Galerist. Weshalb sollte man nicht verkaufen? Dahinter steckt der Gedanke, Kunst sei ein ewiges Rätsel, dessen Bedeutung sich erst später sichtbar erschließt. Dann verwechselt man schon das Nicht- Verkaufen mit einer intelligiblen Leistung. Wenn ich jedoch eine neue Arbeit suche und dafür eine alte gebe, überprüft vielmehr das Neue immer auch das Alte.“ Es hat den Anschein, als ließe sich der merkantile Geist, der in der Vergangenheit den Fortschritt über den Profit definierte, in seiner neuerdings abgewandelten und verschobenen Form nicht mehr aus den Köpfen der Abnehmer austreiben, wobei Schürmann gerade mit der neu erwachten Theorielust anstelle des altbackenen Fetischcharakters argumentiert: „Die achtziger Jahre waren eine Orgie, zumindest die zweite Hälfte. Da bleibt es nicht aus, daß man irgendwann wieder einen klaren Kopf haben muß, auch wenn Sammelmonster wie Ludwig weiterhin ihre Tempel füllen. Für mich ging die ganze Pop-art um das Verhältnis Kunst und Ökonomie. Dieses Thema ist aber heute ziemlich ausgeleiert. Viel interessanter ist doch die Frage nach Kommunikation in bezug auf deren Wünsche und Zwecke. Die jüngere Generation gibt mir zu verstehen, daß sie da eingreifen will.“ Deshalb ergreift der Sammler selbst die Initiative bei der aktuellen Kurskorrektur.
Mit verblüffender Zielstrebigkeit hat Schürmann eine Sammlung zusammengetragen, die den Paradigmenwechsel von Popästhetik zu strukturellen Fragen vollzogen hat. Das könnte den ehemaligen Chemiker und Fotografen zu einem Nachfolger von Ludwig werden lassen: statt der sicheren Anlage von Geld im Kunstwerk wird in den neunziger Jahren Kunst in einer Mischform aus Kapital- und Zeichenströmen zirkulieren. Für den Sammler sind die Gegenstände bereits erweitertes „Equipment“, von Künstlern und Künstlerinnen vorformulierte Statements, die sich erst noch im Kontext der Sammlung beweisen müssen: „Ich fühle mich demgegenüber wie ein Prozeßbevollmächtigter, der auf beiden Seiten des Spiegels stehen kann.“ Die Kunst reizt ihn als Form gewordene Disziplin des Denkens, in dessen Verlauf der Gehalt eines Objekts von der Repräsentation wieder abgelöst wird: „Ich halte es mit Arnold Schwarzenegger, der gesagt hat: Bodybuilder haben Muskeln, wo andere nicht einmal Stellen haben. So in der Kunst, sie öffnet Türen und Zugänge in meinem Kopf, wo ich noch nicht einmal gewußt habe, daß ich dort eine Tür habe.“
Dieser zu gleichen Teilen metaphysische und pragmatische Umgang führt bisweilen zu Problemen mit den Künstlern, die ihre Arbeiten vom Sammler in einen falschen Kontext gestellt sehen. Doch da schiebt Schürmann den Riegel der Eigenständigkeit des Werkes vor. Den Bedenken Cady Nolands vor einer eigenmächtigen Handhabung ihrer Rauminstallationen hält er entgegen, „daß ein Kunstwerk, sobald es das Atelier verlassen hat, auf sich selbst gestellt ist. Es muß seine Umgebung aushalten können, sonst ist da ein Fehler im System.“
In dieser Auffassung kommt der Eingangssatz über die Aneignung von Kunstwerken wieder zum Tragen, wenn auch in einer Kehrtwendung um 180 Grad, die nicht nur die Gesetze des Marktes, sondern auch die der Ästhetik unterwandert. Ein Kunstwerk zu verstehen heißt augenblicklich wohl, es in der Lücke zwischen Kauf und Verkauf zu erschließen. Die öffentlichen Museen müssen sich statt dessen wie gehabt mit dem längst überholten Rätselcharakter abplagen, der immer noch häufig von falsch verstandener Autonomie, übertrieben engstirniger Hermeneutik und ungeheuren Berührungsängsten gespeist wird. Die Hamburger Kunsthalle jedenfalls hat die Documenta-Arbeiten des 50jährigen Prozeßkünstlers und frisch gekürten Marktführers Bruce Nauman eingekauft.
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