piwik no script img

Halbherziger Schlag gegen Neonazis

Die verbotenen Organisationen waren vorgewarnt – die Durchsuchungsergebnisse waren mager  ■ Von Bernd Siegler

„Der Schuß geht nach hinten los. Das ist eine enorme Propaganda, der beste Werbeeffekt.“ Der Hamburger Rechtsanwalt Jürgen Rieger, ein quer durch die Republik tingelnder Verteidiger von Rechtsextremisten aller Schattierungen, frohlockt. Zu seinen Mandanten gehören zwei von Bundesinnenminister Rudolf Seiters verbotene neonazistische Organisationen: die „Nationalistische Front“ (NF) mit Sitz in Detmold- Pivitsheide und die besonders in Bayern und Sachsen aktive „Nationale Offensive“ (NO). Rieger, der selbst schon auf NF-Bundesversammlungen als Redner aufgetreten ist, hat den Auftrag, gegen die Verbote juristisch vorzugehen. Ein Mandat, das ihm behagt – denn er sieht „beste Aussichten auf Erfolg“.

Am 27. November letzten Jahres hatte alles noch ganz anders ausgesehen. Seiters hatte eine Woche nachdem der Anschlag in Mölln das Ausland aufschrecken ließ, die Verfügung für das Verbot der militant neonazistischen „Nationalistischen Front“ unterzeichnet.

Doch Seiters und seine Ministerialbürokraten hatten vorher zu laut nachgedacht. Schon Stunden bevor die Sondereinsatzkommandos in der Quellenstraße 20 in Detmold-Pivitsheide anrückten, hatte die Deutsche Presse-Agentur gemeldet, daß die NF das Ziel der staatlichen Aktion sein sollte. Martialisch schauten die Einsatzkräfte dann aus, wie sie am Spätnachmittag mit schußsicheren Westen, mit Helmen sowie Masken und Gewehren ausgerüstet über Leitern in das NF-Zentrum, die ehemalige Gaststätte „Tanneneck“ stürmten, um den Willen des Bundesinnenministers zu vollziehen. Die Bilder von der „wehrhaften Demokratie“ gingen um die Welt.

„Der Aufwand stand doch in keinem Verhältnis zum Ergebnis“, kritisiert Sissi Ahle, Gründungsmitglied der Pivitsheider „Bürgerinitiative gegen ein Nazizentrum“, das Vorgehen der Polizei als „halbherzig und ohne Entschlußkraft“. Die NF-Kameraden hatten schon Tage zuvor kistenweise belastende Sachen aus dem Haus geschafft. Auch das Konto war nahezu geräumt. NF-Chef Meinolf Schönborn (36) traf man nicht mehr an, und einen Tag später war die Plakatwand vor dem Haus wieder mit NF-Propagandazetteln vollgeklebt, im Innern des Grundstücks herrschte reger Betrieb.

Während Schönborn kurz nach dem Verbot schon wieder unbehelligt in der Quellenstraße ein und aus ging, meldeten die Zeitungen noch immer, der NF-Chef sei untergetaucht. In einer Presseerklärung ließ der NF-Chef verlauten, daß er das Verbot als eine „Bestätigung der bisherigen politischen Arbeit“ verstehe. Es entlarve zudem die „Systembonzen als die Undemokraten“, denn Seiters habe eine beim Bundeswahlleiter registrierte Partei verboten. Das ist genau der Punkt, der Innenminister Seiters in die Bredouille bringen könnte. Eine Partei kann nur in einem langwierigen Verfahren durch das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe verboten werden, bei einem Verein reicht eine Verfügung des Innenministers.

In der Tat ist die kadermäßig organisierte NF, der der Bundesinnenminister eine „Wesensverwandtschaft“ mit dem Nationalsozialismus zuschreibt, beim Bundeswahlleiter als normale Partei registriert. Sie beteiligte sich mehrfach an Wahlen, zuletzt Anfang September bei den Landratswahlen im bayerischen Kelheim. In seiner Verfügung spricht Seiters der NF einfach den Parteienstatus ab. Sie hätte sich im Sommer in zwei Flügel gespalten und dabei die überwiegende Anzahl der Mitglieder verloren. Seiters spielt dabei auf die parteiinternen Auseinandersetzungen in Folge des Aufrufes von NF-Chef Schönborn zur Gründung von „Nationalen Einsatzkommandos“ (NEK) im Herbst 1991 an. Schönborn wollte eine bewaffnete Kampftruppe gegen „Ausländerverbrecher“, „Linke“ und die „Staatsgewalt“ aufbauen.

Nachdem Generalbundesanwalt von Stahl ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Bildung einer terroristischen Vereinigung eingeleitet hatte, stritt sich die sonst konspirativ operierende NF in ungewohnt öffentlicher Weise. Andreas Pohl putschte gegen Schönborn, der NF-Chef prozessierte dagegen mit Erfolg, und Pohl zog sich schmollend nach Lippstadt zurück. Ein taktischer Streit, um einen Großteil der NF aus den Ermittlungen heraushalten zu können?

„Die NEK-Geschichte ist doch absolut lächerlich“, tönt Rieger. Es sei doch legitim, eine „überparteiliche Saalschutztruppe angesichts des Terrors der Linken aufbauen zu wollen“, argumentiert der Rechtsanwalt, der unumwunden zugibt, mit NF-Chef Schönborn das NEK-Konzept bis ins Detail durchgesprochen und für unbedenklich erklärt zu haben. Von einer Hausdurchsuchung in Zusammenhang mit dem NF-Verbot blieb Rieger jedoch verschont. Die polizeilichen Maßnahmen betrafen sowieso nur die engsten Mitarbeiter von Schönborn. Schönborn selbst teilte entsprechend dem Parteiengesetz die neu gewählte Vorstandschaft fristgerecht dem Bundeswahlleiter mit. Für Rieger deshalb ein klarer Fall: die NF sei nach wie vor eine Partei, die nicht nach dem Vereinsgesetz verboten werden könne. Der Hamburger Nazi- Anwalt verspricht sich von seinem juristischen Sieg einen enormen Aufschwung der Organisation. „Dann geht es erst richtig los“, befürchtet auch Sissi Ahle, die nicht verstehen kann, daß Schönborn inzwischen die sichergestellten Schlagringe, Schreckschußpistolen und Baseballschläger als sein Privateigentum wieder ausgehändigt bekommen hat.

Riegers zweiter Mandant, die am 22. Dezember verbotene 140 Mitglieder starke „Nationale Offensive“ (NO), bereitet dem Hamburger auch keinen Kummer. Auch hier habe man eine Partei, die bereits bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg in zwei Wahlkreisen angetreten war, nach dem Vereinsrecht verboten. 30 Wohnungen und Geschäftsräume in sieben Bundesländern durchsuchte die Polizei kurz vor Weihnachten. Die Ausbeute war mager. NO-Chef Michael Swierczek aus dem bayerischen Stadtbergen, hatte das NO-Konto rechtzeitig bis auf einen Restbestand von 10 DM geräumt. Er hatte viel Zeit dazu. „Zehn bis 14 Tage zuvor, wußten wir, daß wir am 22. Dezember verboten werden sollten“, gibt der sächsische NO-Geschäftsführer Dirk André (24) aus Dresden unumwunden zu. Auch er ist zuversichtlich, daß das Verbot rechtlich keinen Bestand haben wird. Die NO, die laut Verbotsbegründung ihre „neonazistische Weltanschauung in aggressiv-kämpferischer Weise“ vertrete, will, so André, jetzt die Eilentscheidung vor Gericht abwarten. Zunächst denke man nicht an die Gründung einer Nachfolgeorganisation.

In der am 10. Dezember verbotenen „Deutschen Alternative“ (DA), der mit etwa 1.200 Mitstreitern wohl größten Neonaziorganisation in den neuen Ländern, ist man dagegen eifrig dabei, neue organisatorische Wege auszuloten. Das Stammlokal „Zum Wassermann“ im Cottbusser Vorort Groß-Gaglow ist weiterhin Treffpunkt von Parteichef Frank Hübner (27) und seinen Gesinnungsfreunden. Zur Zeit firmiert die lokale NPD als Auffangbecken. Die Gründung einer „Deutschen Initiative“ oder die eng mit der DA verbundene, aber vom Verbot unverständlicherweise überhaupt nicht betroffene „Nationale Alternative“ in Berlin sind im Wassermann Gesprächsthema Nummer eins. Die Polizei observiert zwar diese Treffen, begnügt sich aber ansonsten mit der Feststellung der Personalien.

Nach einem im Zusammenhang mit der im November 1983 verbotenen Kühnen-Organisation „Aktionsfront Nationaler Sozialisten/ Nationale Aktivisten“ gefällten Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 15. Juni 1989 darf ein verbotener Verein weiterhin den organisatorischen Zusammenhang aufrechterhalten, um das juristische Vorgehen gegen das Verbot zu organisieren. Die DA nutzt diese Chance weidlich.

Auch bei der DA kamen die Einsatzkommandos der Polizei zu spät. Die DA war wie die NF und die NO vorab über den Schritt des Bundesinnenministers informiert. Belastendes Material über die von Michael Kühnen als legalen Arm seiner nationalsozialistischen Kaderorganisation „Gesinnungsgemeinschaft der Neuen Front“ (GdNF) gegründete DA konnte beiseite geschafft werden. Nurmehr 630 DM stellte die Polizei auf dem Parteikonto sicher, Propagandamaterial und ein paar Schreckschußpistolen waren die magere Ausbeute von Hausdurchsuchungen. Auch die DA ist beim Bundeswahlleiter registriert, hat jedoch gegenüber NF und NO den Nachteil, noch nie kandidiert zu haben. Der Bundeswahlausschuß hat die DA nicht zur Bundestagswahl 1990 zugelassen, die DA gab damals eine Wahlempfehlung für „Republikaner“ ab.

„Das waren alles nur Scheinaktivitäten“, bezeichnet Sissi Ahle die Parteienverbote. In der Tat sind weder die NF-Jugendorganisation „Jungsturm Deutschland“ noch die Vorfeldtruppe „Förderkreis Junges Deutschland“, die Nachfolgegruppierungen „Förderwerk Mitteldeutsche Jugend“ und der „Förderkreis Freies Deutschland“ im rheinischen Schladern vom Verbot betroffen.

Im Zusammenhang der drei Verbote wurden bundesweit nur zwei Person festgenommen. Der Chef des brandenburgischen Landeskriminalamtes Axel Lüdders hat den alten Bundesländern inzwischen vorgeworfen, die Verbote von NF und DA „ziemlich lax“ durchgeführt zu haben. Deshalb habe man auch bei Durchsuchungen nichts gefunden. Die Polizei im Westen habe die Verbotsverfügung per Post zugestellt, die Behörden hätten zu früh die Medien informiert.

Völlig unangetastet blieb bislang die Kaderstruktur der GdNF. Selbst ganze GdNF-Organisationen wie der offen rassistische „Nationale Block“ in Bayern oder die im Raum Heidelberg agierende „Aktionsfront Nationaler Kameraden“ blieben ebenso unbehelligt wie die „Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene“ (HNG) oder der Drahtzieher im Hintergrund, der langjährige Kühnen-Vertraute Christian Worch (36) mit seiner „Hamburger Nationalen Liste“. Auch die FAP, aus der sich sowohl die DA, als auch die NO entwickelt hat, blieb ungeschoren. Obwohl der nordrhein- westfälische Innenminister Herbert Schnoor sich aufgrund des von ihm dem Bundesinnenministerium eigens zur Verfügung gestellten belastendem Material sicher war, daß die FAP vom Bundesverfassungsgericht als Partei verboten werden könnte, passierte nichts. FAP-Chef Busse, wegen Waffen- und Sprengstoffdelikten einschlägig vorbestraft, macht sich jetzt Hoffnungen, zum Auffangbecken zu werden.

Trotzdem haben die Maßnahmen des Bundesinnenministeriums zu einer erheblichen Verunsicherung in der rechtsextremen Szene geführt. Halbherzige Distanzierungen von Gewalt waren die Folge, stets verbunden mit dem Hinweis, die Flüchtlinge und AusländerInnen wären im Gegensatz zu den Politikern der etablierten Parteien die falschen Adressaten. Die militante „Taunusfront“ machte den Anfang. Kurz nach dem NF-Verbot folgte die von ehemaligen NPD- und Rep-Funktionären als neue Sammlungsbewegung gegründete „Deutsche Liga für Volk und Heimat“ (DL). In einer Bundesvorstandserklärung heißt es, die DL halte „geistige und organisatorische Distanz zu allen verfassungsfeindlichen Gruppen. Vergessen ist die lokale Zusammenarbeit der DL mit DA- und NF-Aktivisten.

Auch den Anwaltsgehilfen Worch aus Hamburg plagt die Angst vor einem Verbot. Der 36jährige, der alle vergangenen großen Neonazi-Aufmärsche organisiert hatte, hat bereits prophylaktisch beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe den Erlaß einer vorsorglichen einstweiligen Anordnung beantragt, „um dem Bundesinnenminister zu untersagen, die Partei als Verein mit sofort vollziehbarer Wirkung zu verbieten“. Obwohl Worch selbst in der illegalen Zeitschrift Kampfruf der verbotenen NSDAP-AO schreibt, obwohl keine Ausgabe der GdNF- Zeitung Neue Front ohne Loblieder auf den „Kameraden Worch“ auskommt, ließ der reiche Erbe verlauten, er sei weder „Führer, einer der Führer oder auch nur Angehöriger der ominösen GdNF“. Selbst die aus den Niederlanden operierende 400 Mann starke GdNF, die sich als Gesinnungsgemeinschaft „bekennender und überzeugter Nationalsozialisten“ versteht, fand sich genötigt, in der nach Rostock mit „Weiter so, Deutschland“ betitelten Oktoberausgabe zu betonen, sie sei „keine Organisation“.

Während andere verunsichert sind oder sich momentan zurückhalten, taucht ein Mann aus der Versenkung wieder auf: der von den Medien in der Vergangenheit bereits zum neuen Führer erkorene Münchener Yuppie-Nazi Bela Ewald Althans. Althans machte es besonders geschickt. Der smarte Hitler-Verehrer zeigte sich zwar noch in Rostock, fuhr im September zusammen mit Worch zu einem internationalen Treffen der Auschwitz-Leugner nach Antwerpen, tauchte jedoch dann schlagartig ab. Auf seinem Anrufbeantworter hinterließ er die Meldung, sein Laden in der Herzog- Heinrich-Straße in München, die „Althans-Vertriebswege- und Öffentlichkeitsarbeit“ (AVÖ), wäre ab sofort geschlossen. „Die Revolution hat begonnen“, leider sei man wegen Arbeitsüberlastung „nicht in der Lage, damit fertigzuwerden“.

Althans war in massiven Geldschwierigkeiten, nachdem der führende Kopf der Revisionisten, der Deutsch-Kanadier Ernst Zündel, ihm den Geldhahn zugedreht hat und den Neonazis in Deutschland vorgeworfen hatte, sie seien „nicht effektiv genug“.

Althans wärmte dann im Oktober Kontakte in Moskau und Kaliningrad auf, um sich im November wieder mit einem Rundbrief zurückzumelden. Dort beklagt er, daß „die Zeit uns rechts überholt“ habe. Er fordert einen Zusammenschluß des „nationalen Widerstands“ und gibt die Parole „Angriff, Angriff und nochmals Angriff“ aus. Es folgt der Appell: „Wir dürfen nicht am Zulauf zusammenbrechen.“

Das Verhalten von Althans hat selbst seinen Ziehvater Zündel in Toronto so nervös gemacht, daß sich dieser auf den Weg nach Deutschland aufgemacht hat. Er will Althans und Worch treffen, um die Lage zu peilen. Zündel sieht seine Felle davonschwimmen. „Die Jagd auf alles Nationale ist ausgebrochen“, er habe „noch nie eine solch virulente Anti-Deutschen Hetze erlebt“, den „Nationalen“ stünde ein „Martyrium ohnegleichen“ bevor.

Trotz aller nach außen hin herausgekehrten Differenzen versuchen alle rechtsextremistischen Organisationen, die staatliche Repression für sich propagandistisch zu nutzen. Sie sprechen von einer „Generalmobilmachung gegen die demokratische Rechte“ und beklagen die „Pogromstimmung und Hexenjagd auf nationale Deutsche“.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen