piwik no script img

Klassik auf dem Kristall gespielt

■ Der Pariser Komponist Michel Deneuve konzertierte in Hamburg auf einem ungewöhnlichen Instrument

konzertierte in Hamburg auf einem ungewöhnlichen Instrument

Ein kleiner Barocktempel, protzend in Gold und Stuck. Der Spiegelsaal im Museum für Kunst und Gewerbe ist voll besetzt mit hanseatischem Bildungsbürgertum. Es werden Werke von Händel, Bach und Mozart gespielt. Doch auf der Bühne steht kein Flügel, sondern ein Gerät aus Glas und Metall, das der Fernsehserie Orion entsprungen zu sein scheint.

Michel Deneuve, Komponist und seit 15 Jahren Spezialist für dieses Instrument, bedient „le cristal“ mit Virtuosität. Er taucht seine Hände während des Spiels immer wieder in die vor ihm hängende Wasserschale, um seine Finger zu befeuchten. Er reibt und streicht die Glasstäbe, oft mehrere gleichzeitig, und läßt so einen Klang entstehen, der dem von mit nassen Fingern umkreisten Weinglasrändern sehr nahe kommt: Feine weiche Töne, immer begleitet von leichten Obertonmischungen, etwas kratziger und etwas gehauchter als ein Synthesizer.

Die Stäbe dienen ihm als eine Art Tastatur, vier Oktaven umfaßt das Instrument. Die Tonhöhe wird durch unterschiedlich lange Metallröhrchen bestimmt, die eine Verbindung zu den Klangverstärkern herstellen. Diese Verstärker, die gleichzeitig auch als Lautsprecher fungieren, bestehen aus einem großen Blütenblatt aus Metall und zwei kleineren Glasfiber-Trichtern.

Dem Instrument ist wohl nicht viel Dynamik zu entlocken, die Werke der deutschen Klassik werden wohltemperiert und ohne Tempi-Wechsel als einheitlich süß- tönender Brei serviert. Der Pariser Künstler gibt sich wohlerzogen und befriedigt brav das Kulturbedürfnis des anwesenden Publikums. Das Instrument erweckt zwar Neugier, wird aber wegen des ausgewählten musikalischen Repertoires nur als Ersatz für ein Klavier begriffen.

Erst bei der zweiten Zugabe, einem selbstkomponierten Stück von Deneuve, zeigt „le cristal“ seine Fähigkeiten. Denn dann wird es experimentell. Die Soundkulisse verschiebt sich abrupt, der Barocksaal verblaßt, man findet sich auf einem Schrottplatz wieder. Rostige Eisenscharniere wechseln in rasantem Tempo ab mit perlendem Glas, ein Raumschiff fliegt vorbei, jetzt knarzt eine defekte Gitarre dazwischen. Man merkt, „le cristal“ würde einem modernen Klangexperimentator viel Freude bereiten.

Dies entspricht auch eher der Intention der Erfinder dieses Instruments. Die Gebrüder Bernard und Francois Baschet wollen ihre Schöpfungen, die sie „structures sonores et pedagogie“ nennen, nicht nur als Verbindung zwischen Kunstobjekt und alternativer Tonerzeugung sehen, sondern auch als Möglichkeit zum Experimentieren und Lernen. Ihre Instrumente sind noch bis zum 14. März im Museum für Kunst und Gewerbe ausgestellt und können dort ausprobiert werden. Greta Eck

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen