Sanssouci: Vorschlag
■ "Passagen" - eine Ausstellung nach Walter Benjamin
Über den Gleisen des verwaisten S-Bahnhofs Westend baumelt ein Schild mit der Aufschrift „Ewige Wiederkehr“. Ironisch? Benjamins Diktum von der mythischen Wiederkunft des ewig Gleichen läßt Jubiläumsgestreßte Banaleres fürchten: wieder einmal der 100. Geburtstag eines Säulenheiligen.
Der Ort könnte allerdings nicht günstiger sein. Bahnhof Westend, zugige Gleise, Schwellen auf dem Weg zum Grunewald: Benjamin ist hier sicher mal einer S-Bahn nachgehetzt, die er dann doch verpaßt hat. Und damit man bei soviel Nostalgie auch nicht vergißt, wie die Schwellen von heute aussehen, liegt direkt hinterm Bahnhof die Autobahn.
Von diesem Knotenpunkt des Verkehrs ist im Inneren des Bahnhofs, wo gerade die Ausstellung „Passagen“ eröffnet wird, nichts mehr zu spüren. Luftdicht renovierte Räume und ein gepflegter Treppenaufgang zur Kaffeetheke. Daß Benjamin nicht gemalt, sondern geschrieben hat, ist offensichtlich: An den Wänden hängt, streng, Schwarz auf Weiß, so etwas wie ein Text aus Bildern. Auf den Fotografien von Robert Doisneau und Jonas Geist sind die alten Einkaufspassagen fast aller großen Städte Europas abgelichtet. Dazu, in separaten Räumen, Zeichnungen von Wolfgang Schmitz. Wer Benjamins „Berliner Kindheit“ kennt, fühlt sich daran erinnert. Schmitz' meist hochformatige Papierbögen zeigen Knickstellen wie gefaltete Zettel, die man in der Schule dem Banknachbarn zugeschoben hat. Eine Arbeit, betitelt „Theorien des Fortschritts“, benutzt ein altes Buntpapierheft, wo sich am unteren Rand wie ein Fächer die verschiedenen Farben zeigen. Das „Theorienbuch“ ist auf diese Weise koloriert, Benjamin angemessen!
Zeichnungen, die nichts Architektonisches zeigen, sind selten. Alphabetisch geordnet heißt es: Brunnenhalle, Panorama, Prostitution und chemin des dames. Besonders bescheiden und textergeben hat eine Bremer Studentengruppe gearbeitet. Da erscheinen in einem kellerartigen Raum aus rohem Backstein Benjamins Sätze wie Menetekel an die Wand geworfen, und die Rede von der Aura wird auf kupfergoldnem Grund beschworen. Die Aura des Kunstwerks — wenigstens typographisch gebannt.
Die Ausstellung ist kein hilfloser Versuch, philosophische Sätze zu illustrieren – wie seinerzeit im Gropius-Bau – und auch keine Inszenierung zur Person wie anno 90 im Literaturhaus. Es ist jedoch kaum zu übersehen, daß die Kuratoren dieses Unternehmens Professoren sind — von den Kunsthochschulen Bremen und Berlin. Vielleicht war es das Unbehagen in der akademischen Haut, das zu dem üppigen Rahmenprogramm in den nächsten zwei Wochen geführt hat: Vorträge, Videos und zeitgenössische Musik. Stephanie Castendyk
„Passagen. Nach Walter Benjamin“ 15. bis 31.1. im Bahnhof Westend, Dienstag bis Sonntag von 12 bis 20 Uhr. Telefon: 3213005/06.
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