: Hochfliegende Pläne suchen Landebahn
Serie: Der Verkehr und die Zerstörung der Stadt (9. Folge)/ Die Alternative zu einem weiteren europäischen Großflughafen ist der Ausbau von Schönefeld/ Planung ohne ökologische Bilanz ■ Von Hans-Joachim Rieseberg
Durch die Stadtsituation Berlins war der Flugverkehr jahrzehntelang bei der verkehrspolitischen Diskussion fast ein Tabu, galt doch das Flugzeug als das letzte Mittel, aus der eingeschlossenen Stadt im Falle der Einnahme durch den Ostblock zu entfliehen. So ist eigentlich eine wirklich inhaltliche Diskussion über den Flugverkehr nie geführt worden, sondern nur eine emotionale. Auch die Standorte für die Flughäfen wurden nicht nach umweltpolitischen Gesichtspunkten ausgewählt, sondern nach dem, was in der Stadt an freien Flächen zur Verfügung stand, und dies wurde auch nicht in ordentlichen Planungsabläufen diskutiert, sondern mehr oder weniger durch alliierte Erlasse verfügt. Es fehlt also im Grunde an einer demokratischen Tradition zur Diskussion über den Flugverkehr. Der derzeitige Stand der Diskussion schleppt dieses Erbe der Vergangenheit mit sich und wird mehr oder weniger kritiklos von den Wachstumsvorstellungen der Fluggesellschaften und der Flugzeughersteller dominiert. Der Anteil des Flugverkehrs ist noch nicht in die Dimension gewachsen wie der Anteil des automobilen Individualverkehrs, andererseits geht man mit dem Thema, was die Umwelt anbelangt, heute genauso sorglos um wie mit dem Thema Auto in den fünfziger Jahren.
Flugverkehr: Planung ohne demokratische Tradition
Wenn wir die Erfahrungen mit dem Thema Auto auf den Flugverkehr projizieren, so müßte man etwa zu folgender Einschätzung kommen: Wir können heute davon ausgehen, daß der Eintrag von Schadstoffen in die hohe Atmosphäre mittel- oder sogar kurzfristig schwere Beeinträchtigungen des gesamten Klimas, vielleicht sogar auch des kurzfristigeren Wettergeschehens nach sich zieht. Dabei gelten als Schadstoffe nicht nur die Abgase aus dem Kerosin, sondern auch der Eintrag von Wasserdampf in die hohen Luftschichten. Wir wissen immer noch nicht, was sich im einzelnen physikalisch durch den Massenflugverkehr in den oberen Räumen unserer Atmosphäre abspielt, aber wir müßten wissen, daß es mit Sicherheit nicht ungefährlich ist. Viele Umweltexperten gehen davon aus, daß Flugverkehr über einer Höhe von 10.000 m äußerst gefährlich ist, sowohl für die Ozonschicht und das Wärmeaustauschverhalten der Atmosphäre als auch für die mittelfristige chemische Zusammensetzung der Atmosphäre. Obwohl bereits einige der Auswirkungen von einer Reihe von Experten nachgewiesen sind, gibt es noch keine schlüssigen Beweise, so wie wir sie heute brauchen, um etwas Entscheidendes zu verändern, wenn wir technische Systeme nicht zum Einsatz bringen wollen.
Wachstum diktiert Entwicklung
Ich will es einmal drastisch formulieren: Mit dem Wissen von heute würde man weder den großtechnischen Einsatz der Dampfmaschine, der Damflokomotive oder des Automobils noch einmal in Gang setzen. In bezug auf den Flugverkehr stehen wir immer noch am Anfang einer Entwicklung: Die Zuwachsraten liegen zum Teil über zehn Prozent, und die Vergrößerung der Fluggeräte wird nicht zu einer Verringerung der Flugbewegungen führen, sondern lediglich den Zuwachs an Passagieren etwas wettmachen können. Für mich ist dies – und das, was wir noch nicht wissen – das Hauptproblem bei der Planung eines jeden Großflughafens, in welcher Stadt auch immer. Wir müßten davon ausgehen, daß es bei der Bedrängnis, in der wir bei der Klimafrage stehen, am Ende dieses Jahrtausends zu einer Reduzierung des Flugverkehrs kommen wird. In Berlin tut man planerisch das Gegenteil. Man plant neben Frankfurt und London einen dritten europäischen Großflughafen für Interkontinentalflüge und als Umsteigefunktion zwischen Osteuropa und den Vereinigten Staaten, und man will auf diesem Großflughafen die innereuropäischen und innerdeutschen Linien bündeln. Würde man Prognosen über die Zukunft der Lebensbedingungen auf dieser Erde machen, so müßte man zwangsweise davon ausgehen, daß Flugzeuge zu den ersten Verkehrsmitteln gehören werden, die neben dem Automobil entscheidend von Einschränkungen betroffen sein werden. Innereuropäische und innerdeutsche Flugverbindungen werden auf absehbare Zeit wahrscheinlich grundsätzlich nicht mehr zugelassen und interkontinentale Flugrouten auf ein relativ niedriges Niveau eingefroren werden. Das klingt utopisch, doch wird die Umweltproblematik Entscheidungen erzwingen.
Auf dem Weg zum Helmut-Kohl-Airport
Geht man nun in die städtische Planung zurück, so haben wir in Berlin derzeit fünf Flughäfen: Tegel, Tempelhof, Gatow, Schönefeld und den neuen Phantomflughafen, nennen wir ihn ruhig Helmut- Kohl-Flughafen, denn dieser letzte Flughafen ist der, mit dem sich alle am meisten beschäftigen. Die einen tun so, als wäre er beschlossene Sache, andere tun so, als ob er bis zum Jahre 2000 fertigzustellen wäre, und die meisten werden ihn zwar nicht in ihrer Umgebung wollen, aber letztlich doch als angenehme Bereicherung ihrer großstädtischen Situation verstehen. Wer sich eine Vorstellung von diesem neuen Flughafen machen will, der sehe sich den Flughafen Franz Josef Strauß einmal an und setze ihn in Beziehung zu der Landschaft, die dieser Flughafen zerstört hat, und er sehe sich die Geschichte aller großen Flughäfen der letzten 60 Jahre an und das, was dann mit dem jeweiligen Stadtgebiet passiert ist. Die Vorstellung aller Planer war, den Flughafen wegen der Lärm- und Unfallprobleme möglichst weit von den Stadtzentren entfernt zu bauen. Dabei könnte sich jeder, der einmal mit einem Segelflugzeug die nähere Umgebung Berlins abgeflogen hat, davon überzeugen, daß es keine Stelle mehr gibt, an die man noch verantwortungsvoll ein solches Monster, wie es der Franz-Josef-Strauß-Flughafen darstellt, setzen könnte.
Dabei muß man davon ausgehen, daß der neue Großflughafen Berlin wahrscheinlich im Endausbau doppelt so groß wird wie der Franz-Josef-Strauß-Flughafen. Setzt man ihn wirklich weit entfernt und ohne Lärmeinfluß auf die Bewohner Berlins in das grüne Umland, so mag man eventuell noch einen Platz finden, wo man keine Menschen beeinträchtigt. Die Tier- und Pflanzenwelt, die aber unter einer solchen riesigen Baumaßnahme zu leiden hat, hat keine Stelle mehr in der Umgebung freigelassen. Darüber hinaus würde der Großflughafen, ob er nun in Sperenberg oder wo auch immer steht, ein Magnet für flughafennahe Ansiedlungspolitik sein, denn jeder weiß, daß ein solcher Flughafen mehrere tausend bis zehntausend Beschäftigte hat. Hinzu kommen die riesigen Frachtanlagen und die flughafennahen Infrastrukturen, die im Sog einer solchen Ansiedlung zwischen der Millionenstadt Berlin und dem neuen Magneten entstehen würden. Fast trichterförmig saugt der Flughafen durch eine neue Autobahnerschließung, durch eine S- Bahn-Erschließung, durch eine Fernbahnerschließung und eventuell sogar durch eine Magnetbahnerschließung Verkehrsbänder an sich heran. Diese Verkehrsbänder werden in kilometerdicken Streifen die alte Stadt Berlin mit der neuen Flughafenstadt verbinden, und sie werden – so der Flughafen denn in den Süden wandert – ihre Fühler auch in Richtung Leipzig ausstrecken. Längs dieser Bänder werden Industrieansiedlungen folgen und im Zuge der Industrieansiedlungen Wohnansiedlungen.
Die Stadt zieht den Flugplatz nach
Und so wird denn in reichlich 50 Jahren – eine kurze Epoche – der Flughafen wieder mitten in einem Ballungsgebiet liegen, und es wird die Forderung laut werden, diesen innerstädtischen Flughafen aufzugeben und einen neuen zu planen. Die Stadt wird sich wie ein Flickenteppich oder wie ein schnell wachsender Schimmelpilz über die Landschaft ausgebreitet haben, und alle Argumente von Umweltschutz oder von Verträglichkeit werden zum Teufel sein. So haben wir es erlebt mit Tempelhof, so haben wir es erlebt mit Tegel – keiner dieser Flughäfen ist bisher renaturiert oder umgewidmet worden, und alles spielte sich in den letzten 60 Jahren ab. Letztlich ist das dann alles auch keine Stadtplanung, sondern das Gegenteil davon: Landschaftszerstörung.
Schönefeld – das kleinere Übel
Nun werden viele einwenden, daß diese Gedanken das Problem nicht lösen, denn die Bewohner von Reinickendorf, Tegel und Spandau leiden täglich unter dem Fluglärm von Tegel, daß das Flugzeug sowieso nicht abgeschafft wird und man deshalb diese Lösung finden muß, auch wenn sie nur das kleinere Übel ist. Doch eigentlich ist diese Argumentation so nicht richtig, denn es geht ja nicht um die Verlagerung des Flugverkehrs, wie wir ihn jetzt haben, sondern um eine Verdopplung oder sogar um eine Vervierfachung. Und das kleinere Übel wäre wahrscheinlich trotz der Kenntnis, daß auch in Schönefeld eine Menge Einwohner unter dem Fluglärm leiden, eine pragmatische Verlagerung des Flugverkehrs nach Schönefeld, eine Festschreibung des Flugverkehrs auf das heutige Niveau – denn wir wollen und müssen ja auch den CO2-Ausstoß reduzieren – und die Anpassung Schönefelds an diese Gegebenheiten –, also die konsequente Umwandlung eines bestimmten Gebietes in eine bebauungsfreie Zone, die Zug um Zug umgesetzt werden muß. Damit würde einerseits deutlich, daß es für das Flugproblem keine Lösungen gibt, daß aber andererseits Planung versucht, mit dem Bestehenden auszukommen, ohne immer neue Flächen zu verbrauchen. Denn niemand kann allen Ernstes glaubhaft für den Erhalt des tropischen Regenwaldes eintreten und von Afrikanern, Asiaten und Südamerikanern den Verzicht auf die Erschließung neuer Gebiete verlangen, wenn er im eigenen Land immer neue Gebiete den technischen Bedürfnissen opfert.
Berlin muß sich bescheiden
Im Sinne einer europäischen Arbeitsteilung reichen die Flughäfen Frankfurt und Franz-Josef-Strauß in München für den interkontinentalen Bedarf, und die Hauptstadt Berlin begnügt sich mit einem Flughafenexpress, hat einen Regierungsflughafen in Tegel und einen ausgebauten Flughafen Schönefeld als Übergangslösung bis zum Jahre 2025. Natürlich weiß ich auch, daß dieser Denkansatz zur Zeit utopisch ist. Alle stürzen sich in das 25jährige Planungsgetümmel, und nun können die Wetten abgeschlossen werden, ob der Flughafen Helmut Kohl im Jahre 2022 noch übergeben wird oder ob er im Jahre 2015 nach der Ausrufung der totalen Klimakatastrophe als Planungsruine in Brandenburg stehenbleibt und sich einreiht in die Gesellschaft von Wackersdorf, Mühlheim-Kärlich, Kalkhar und was wir an technischen Wunderwerken so herumstehen haben.
Diplom-Ingenieur Hans-Joachim Rieseberg beschäftigt sich mit Architektur, Stadt- und Verkehrsplanung und ist Autor mehrerer Bücher über unsere zerstörerische Lebensweise; kürzlich erschien „Arbeit bis zum Untergang“ im Raben- Verlag.
Die nächste Folge erscheint am Montag kommender Woche.
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