Le postmodernismen n'existe pas

■ Boris Groys: Über das Neue. Versuch einer Kulturökonomie

Adornos Diktum von der Unwiderstehlichkeit des Neuen, als der seit Mitte des 19. Jahrhunderts zentralen Kategorie der Moderne hat die postmoderne und poststrukturalistische Theorie für obsolet erklärt. Sie hat das Neue unter das unendliche Spiel des Begehrens, des Dialogs, der Interpretation und des Erhabenen und so weiter subsumiert, und dergestalt gezähmt beeindruckt es nicht mehr sonderlich. Man harrt nicht mehr in beglückter Nervosität der letzten und der allerletzten Dinge, wiewohl es das Neue durchaus gibt. Selbst Aids, das tödliche Neue, der maskierte Virus, der 1981 die Welt überraschte und ihre Zeitrechnung neu definierte, in die Zeit davor und danach, scheint die Faszination am bewegten Stillstand nicht gemindert zu haben. Aids, eine profane Krankheit, hat die Welt, Kultur und Künste revolutioniert, indem es die Zeitspanne entscheidend verkürzt hat, die vielen Künstlern bleibt, ihr Werk zu schaffen. Unter anderem bedingt das eine andere Organisation von Leben und Kunst und führt – was ebenfalls neu ist – zu posthumem Ruhm noch zu Lebzeiten. Diese Veränderungen scheinen dem zur Moderne differenten Zeithorizont der Postmoderne zuzuarbeiten. Die neuen Formen politischer Kunst, die Aids auf den Weg gebracht hat, die neuen Formen politischen Kulturaktivismus sind in Permanenz veranstaltete innovative ad hoc-Protestformen (z.B. zaps).

Dem derzeit also wenig aktuellen Thema des Neuen hat nun der im Jahr 1981 aus der Sowjetunion nach Deutschland emigrierte Kunstkritiker Boris Groys eine Untersuchung gewidmet. Soll sein „Versuch einer Kulturökonomie“ erneut die Unwiderstehlichkeit des Neuen belegen? Was ist das Neue? Weil die Macht der Zeit, Antipode der Wahrheit und daher auch als Torheit der Mode gescholten, die Innovation bedingt. Paradox: neu wäre es, wenn nichts Neues mehr geschähe. Diese schon logische Unmöglichkeit führt Groys dazu, die Unumgänglichkeit des Neuen voraussetzend, das Neue als „einzige Realität, die in der Kultur zum Ausdruck gebracht wird“ zu bestimmen. Das Streben nach dem Neuen manifestiert die Realität unserer Kultur gerade dann, wenn es von allen traditionellen Bestimmungen, die das Neue als Utopie, als das Authentische oder als den Ausdruck menschlicher Willensfreiheit benennen, befreit wahrgenommen wird, etwa im System der Mode. Das ist erstmal ein interessanter Ansatz. Zunächst ist Mode der Name für radikale Geschichtlichkeit – „nicht jener Geschichtlichkeit, die innerhalb eines bestimmten theoretischen Diskurses thematisiert wird, sondern der Geschichtlichkeit all jener Diskurse selbst, die über das Geschichtliche sprechen wollen.“ Mode schafft eine Wertdistanz, die zwischen ,unseren' und ,anderen' scharf unterscheiden läßt, dabei werden einzelne Unterschiede auf Kosten anderer als besonders wertvoll und entscheidend definiert. Mode, „das Neue ist wertvoller als das nur Differente, es beansprucht für sich gessellschaftliche Bedeutung und will für seine Zeit Wahrheit sein.“ Das Neue als das Modische hat erfahrungsgemäß die größten Chancen auch für die Zukunft im kulturellen Gedächtnis der Gesellschaft, in ihren Archiven, Museen und Bibliotheken aufbewahrt zu werden, obwohl es gerade keine absolute Geltung für sich beansprucht. Groys sieht das Neue allerdings keinesfall einem unendlichen Spiel der Differenzen, von dem eine poststrukturalistische Theorie ausgeht, entstammen, noch sieht er darin eine Offenbarung des Verborgenen. Groys lehnt vorgängige, unbewußte ,primäre' Differenzierungsprozesse als Fiktion ab und argumentiert Niklas Luhmann ähnlich, der Differenzierung als eine Operation sieht, in der etwas ausgeschlossen wird, wobei dem Beobachter klar ist, warum es ausgeschlossen wird. Alles was nicht streng geteilt ist, ist nicht differenziert. Schillers universalistische Überbietung der Mode als Kränkung des Traums von der Identität, der auch unter den Bedingungen nachmetaphysischen Denkens noch nicht ganz ausgeträumt scheint, hinter sich lassend, bedeutet Mode dann, daß mit der Zeit alles mit allem kombinierbar ist: Man muß nur darauf kommen. Groys: „Jedes Ereignis eines neuen Vergleichs von etwas, das bis dahin noch nicht verglichen wurde, weil niemandem dieser Vergleich früher in den Sinn kam.“ Das Neue differenziert und dieser Prozeß ist nach Groys weder auf ökonomische Zwänge und kapitalistische Marktstrategien zu reduzieren, noch entstammt er „der Tiefe der menschlichen Freiheit.“

Wie aber kommt man also drauf, das Neue zu rekombinieren? Im zweiten Hauptteil, „Innovationsstrategien“ betitelt, untersucht Groys das „Neue im Archiv“ (so die Überschrift des ersten Hauptteils) und seine Beziehung zum „profanen Raum“. Denn Groys These ist es, daß „die Umwertung der Werte die allgemeine Form der Innovation (ist): das als wertvoll geltende Wahre oder Feine wird dabei abgewertet und das früher als wertlos angesehene Profane, Fremde, Primitive oder Vulgäre aufgewertet“. Groys zitiert für diese Strategie den Kronzeugen Duchamps. An seinem Beispiel exemplifiziert er die sich immer weiter verfeinernden Umwertungen im Bereich der Kunst und ihre sich gleichermaßen ausdifferenzierenden Interpretationen. Diese Interpretationen angefangen vom Ende der Kunst bis hin zum Ende des Museums könnten allerdings auch die postmodernen Theorien bestätigen: als Spiel des Neuen und nicht als das Neue als Realität.

Denn insofern Groys unter Realität „das Unausweichliche, Unverfügbare, Unverzichtbare“ versteht und mehr nicht, weshalb er am poststrukturalistischen Spiel Derridas etwa, dessen Vertagung, aber nicht Verabschiedung des Wahrheitsanspruchs moniert, scheint es nicht plausibel wie die Kontigenz des Realen, die „Idiotie des Realen“ wie Clément Rosset sagt, jemals zu etwas wie dem (bedeutsamen) Neuen führen sollte. Wie wäre Duchamps sonst denkbar? Als Währungsreformer der Moderne und nicht als x-beliebiger anonymer faux-monnayeur?

Und noch ein Problem ist zu konstatieren: Duchamps wird als Beispiel für die Moderne genannt, der die Subkultur, also der von den Archiven nicht erfaßte, profane Raum, als Ressource ersten Ranges für die kreative Innovation galt. Nach postmoderner Ansicht gibt es heute allerdings gar keine archivfreien Räume mehr; nicht das Ende der Kunst, wohl aber das Verschwinden des Profanen ist also zu konstatieren. Groys läßt dies aber nicht gelten. Nur wenn man von etwas Substantiellem ausgeht, so sein Argument, kann dieses auch vernichtet werden. Keine Aufwertung des Profanen also kann dessen Profanität endgültig vernichten oder die Grenzen zwischen der Kultur und den profanen Dingen auslösen. Brigitte Werneburg

Boris Groys: „Über das Neue. Versuch einer Kulturökonomie“. Carl Hanser Verlag, München 1992, 195 S., kt., 36DM