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„Mentale Liquidierung“ und „kalte Enthauptung“

■ Ein PDS-unterstützter Kongreß zu Berufsverboten spart nicht an großen Worten

Berlin (taz) – Schon der Titel der Veranstaltung geriet etwas zu großartig: „Berufsverbote im vereinigten Deutschland und das neue Europa“. Ein zweitägiges „internationales Hearing“ kündigte die „Initiative für die volle Gewährung der verfassungsmäßigen Grundrechte und gegen Berufsverbote“ an. Unterschriften wurden für das Vorhaben gesammelt – rund zweihundert kamen zustande, von Axel Acht aus Bautzen über mehr oder weniger prominente PDS- Mitglieder bis hin zum Greifswalder Hochschullehrer Hartmut Zühlke.

Der Kongreß tagte in der früheren Zentrale des DDR-Gerkschaftsverbandes FDGB. Dort wurden letzten Sommer schon die „Komitees für Gerechtigkeit“ aus der Taufe gehoben.

„Stark verallgemeinert läßt sich sagen, daß es [...] in allen neuen Bundesländern auf eines hinausläuft: auf eine große ,Säuberungswelle‘, auf die Eliminierung des einstigen ,staatstragenden‘ Personals der DDR, auf die ,kalte Enthauptung‘ der früheren DDR-Intelligenz, auf die Abstrafung für ehrliches Engagement in der Vergangenheit.“ Dies schreibt der Leitartikler Friedrich Hora im „Journal für Recht und Würde“, einer Zeitschrift, die den Kongreßteilnehmern an die Hand gegeben wird.

Das Zitat entspricht dem Grundzug der Veranstaltung. Man hätte ebenso sagen können: „Der Rachefeldzug geht weiter“, wie es der Berliner PDS-Bundestagsabgeordnete Uwe-Jens Heuer tat. Auch er hat massenhaft Berufsverbote in den neuen Bundesländern ausgemacht, die einzig das „Ausschalten“ all derer bezwecken, die in der DDR Verantwortung getragen haben. Der „Sieg im Kalten Krieg“ werde nun endgültig gefestigt, Rache an denen genommen, die ein sozialistisches Experiment in Deutschland versuchten.

An Beispielen und Betroffenen mangelte es nicht. Aber an einer Definition des Begriffes „Berufsverbot“. Hatte der in der alten Bundesrepublik 1972 von der Brandt-Regierung erlassene „Radikalenerlaß“, der allgemein als Berufsverbot tituliert wird, den Ausschluß vermeintlicher Verfassungsfeinde aus dem öffentlichen Dienst im Sinn – im Congreß Center in Berlin-Mitte mutierte der Begriff zum Synonym für die Folgen, die die Deutsche Vereinigung vor allem für den intellektuellen Mittelbau der Ex-DDR mit sich brachte. Gesprochen wurde von „Ausgrenzung, Kriminalisierung und schließlichen Eliminierung“ von großen Teilen der einstigen DDR-Intelligenz, die verharmlosend „Elitenwechsel“ genannt werde.

So nahm etwa das Mitglied der Gesellschaft für Menschenrechte in Sachsen, Professor Ernst Woit, die „schwarzen Listen“ des Freistaates aufs Korn, mit denen Sachsens Kultusminister Meyer die Hochschulen säubern will. Zu Recht. Symptomatisch für die Versammlung war allerdings, wie er den Vorgang hochstilisierte. Woit erspähte einen „Angriff auf den Kernbereich des Grundgesetzes“, einen Beleg dafür, daß „da skrupellos außerhalb der Legalität marschiert wird“.

Wolfgang Richter, der über „Erscheinungsformen verdeckter Berufsverbote“ referierte, nannte die Dimension der Berufsverbote „die größte Enteigung der Geschichte“. Insgesamt anderthalb Millionen Menschen seien Opfer von „berufsverbotsähnlichen Verfahrensweisen“. Die Akademiker stellten zwei Drittel. Nach Richter wird gegenwärtig eine „mentale Liquidierung“ betrieben; die Entwicklung nach 1990 in den neuen Bundesländern könne nur noch mit „Kriegsschädenanalysen“ erfaßt werden. Der Gesellschaftswissenschaftler Gert Fischer, der wegen seiner Versuche, den Sozialismus zu reformieren, zu DDR-Zeiten aus der Parteihochschule der SED ausgeschlossen wurde, kam zu einem ähnlichen Ergebnis: „Die Vereinigung verkommt zu einem Akt der Beherrschung.“

Beiträge über die Berufsverbote in Westdeutschland sollten die Kontinuität staatlicher Repression belegen. Die Referenten dazu waren in ihren Aussagen über eine generelle Ausgrenzung der alten DDR-Elite erheblich vorsichtiger. Einer erinnerte, daß es der Wille der Volkskammer war, besonders „belasteten“ Personen führende Funktionen vorzuenthalten.

Feinheiten waren nicht gefragt. Wolfgang Richter, dessen „Gesellschaft zum Schutz von Bürgerrecht und Menschenwürde“ bei der Gründung der „alternativen Enquete-Kommission“ um den Philosophen Wolfgang Harich die Hand im Spiel hatte: „Warum sollen wir uns dauernd für die Fehler der DDR entschuldigen vor einem Staat, dessen Vorzüge schon tadelnswert sind?“ Wolfgang Gast

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