: Uni-Schnitte vor Gericht ohne Chance
■ FU-Juristen: Stellenstreichungen berechtigen Uni nicht zu drastischen Zulassungsbeschränkungen / Kritik an Politik des Wissenschaftssenators / Forderung nach Verlangsamung des Studienplatzzabbaus
Berlin. Die 115.000 Berliner Studienplätze dürfen nicht schnell und drastisch reduziert werden. Diese Ansicht vertraten gestern mehrere Experten des Zulassungsrechts der Freien Universität auf einer Pressekonferenz. Die Verwaltungsgerichte bewerteten nach ihrer Erfahrung regelmäßig das individuelle Recht des einzelnen auf die freie Wahl von Studienort und -fach höher als eine eventuell auftretende Überlast an den Unis. Ein pauschaler Abbau von Stellen sei nicht möglich, sagte Hellmuth-Johannes Lange von der Rechtsabteilung der FU zur Politik des Wissenschaftssenators Erhardt. Der hatte seine Kürzungspolitik am Wochenende in einem Interview mit der taz als „nicht gescheitert“ bezeichnet.
Am Fachbereich für Grundlagenmedizin der FU sind im laufenden Semester ein Drittel der 314 neueingeschriebenen StudentInnen ohne akademische Lehrer. Grund ist ein „fiktives Lehrangebot“. Es entsteht, weil die Freie Universität – nach Ansicht des Gerichts – ohne ausreichende Planungen Stellen gestrichen oder umgewandelt hat. Das heißt: Auch aus den – in der Grundlagenmedizin – nicht mehr vorhandenen Professoren und Assistenten erwächst der Universität die Pflicht, Studierwillige zum Medizinstudium zuzulassen. Einen so hohen Stellenwert räumen die Richter dem Recht auf Bildung ein, das in Artikel 12 des Grundgesetzes verankert ist.
„Wir sehen keine Tendenz, daß andere Entscheidungen gefällt werden“, sagte Wolfgang Krieger zur ständigen Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte. Es sei kein Berliner Spezialfall, sondern „guter Bundesdurchschnitt“, daß die Richter das Streichen von Stellen und damit von Studienplätzen nicht akzeptierten. Bei jeder einzelnen Stelle müsse sorgfältig abgewogen werden, ob ihr Wegfall nicht anderswo in der Universität erfolgen könne. „Das ist aber schwierig“, so Lange zur geltenden Hochschulpolitik, „weil aktuell und schnell gespart werden muß.“
Auch ein Festschreiben der Neuzulassungen per Gesetz (und nicht, wie üblich, durch Rechtsverordnung) ändere die Situation nicht. Der Wissenschaftssenator propagiert diese Methode als Lösung. Im Falle der Tiermedizin der Freien Universität habe ein Gesetz die Zulassungen von 350 auf 200 reduziert. Dennoch hätten die Richter allen 39 KlägerInnen einen Studienplatz erteilt. „Und da hatten wir noch Glück, daß nur so wenige geklagt haben“, meinte ein Vertreter der Tiermedizin.
FU-Präsident Johann W. Gerlach kritisierte, daß die Berliner Landespolitik die Gebote des Kapazitätsrechts „überhaupt nicht bedacht“ habe. Im Gesetzgebungsverfahren der von Kapazitätsklagen betroffenen Tiermedizin habe kein Politiker „auch nur mit einem Wort kapazitätsrechtliche Rücksichten erwogen“. Gerlach forderte: „Der Prozeß des Abbaus von Studienplätzen muß im Umfang und Zeitrahmen abgemildert werden.“ Die derzeitige Politik bedeute für die Universität, „das Zufällige zu planen“. cif
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